Paradise # 46

Rezension

Poul Anderson

" Genesis"

mit einem Nachruf auf Poul Anderson

von Joachim "Joe, the Nighthawk" Kutzner

Taschenbuch
Bastei Lübbe Verlag
Im Original in den USA erschienen 2000

in Deutschland 2001
Umfang: 317 S.
Preis: 7,45 € / DM 14,90
ISBN: 3404242874

Cover "Genesis" von Poul Anderson - copyright Bastei-Lübbe-Verlag

Zum Inhalt des Romans:

Der Roman beginnt in unserer Realzeit.
Der junge Christian Brannock träumt zu den Sternen zu reisen. Später ist der Junge zum Mann geworden, er hat seinen Traum verwirklicht und geht als Astronaut ins All. Inzwischen hatte sich das Internet rasant weiterentwickelt, es beherrscht die Erde. Die ersten Künstlichen Intelligenzen kommen auf. Christians Bewusstsein steuert Gimmick, eine der KIs bei der Erforschung des Planeten Merkur.
Jahrzehnte später wird Brannock Teil eines spektakulären Projektes, der Übertragung der kompletten Matrix eines Menschen in eine Maschine. Er wählt diesen Weg der relativen Unsterblichkeit statt des sicheren Alterstodes.

Um die menschliche Natur besser zu verstehen integriert "Terra Central", die aus der Fortentwicklung des Internets entstandene KI, sogar das Bewusstein Verstorbener in ihre Datenspeicher - auch die menschenscheue Laurinda Ashcroft erlangt so die Unsterblichkeit.
Nur diese menschlichen "Hybid Uploads" machen den Weg zu den Sternen möglich, denn es gelten in Andersons Roman die Einsteinschen Gesetze: Die Lichtgeschwindigkeit ist die höchste erreichbare Geschwindigkeit im Universum. Da die Matrixmenschen praktisch unsterblich sind, ist es für sie kein Problem mehr, jahrtausendelang in einem Raumschiff zu fliegen um lichtjahreweite Sterne zu erreichen.
Die "Menschheit" breitet sich über das Solsystem hinaus aus... doch in Wirklichkeit breiten sich die Maschinen aus... sonnensystemverbindende Netzwerke entstehen... bis sie die ganze Galaxis umspannen... letztendlich beherrscht eine einzige gigantische KI die Milchstraße.

Eine Milliarde später sorgt sich die Matrix Christian Brannock um die Erde: Terra droht der Untergang, weil ihre Sonne gefährlich expandiert. Ist es die Erde wert gerettet zu werden, obwohl es auf ihr keine Menschen mehr gibt?
Christian einigt sich mit der Zentral-KI nach dem Rechten auf Terra zu sehen. Denn seltsame Anomalien werden zur Zentraleinheit gesandt, die Gäa, die K I der Erde, nicht plausibel erklären kann. Eine Kopie von Brannocks Matrix trifft auf der Erde ein Hybrid-Upload Gäaas, in der die Matrix' Laurinda Ashcroft enthalten ist. Beide lernen sich vorsichtig kennen, zunächst als Gegner, dann als Partner. Sie lernen nun bei der Erforschung Gäas deren schockierende erschreckenden Pläne für die Zukunft der Erde kennen...

Stopp!
Bis hierhin und nicht weiter, denn sonst würde ich noch mehr verraten, als ich schon getan habe.


Rezension:

Wieder einmal widmet sich Poul Anderson zwei Themen, die er in seiner über fünfzigjährigen Schaffenszeit schon mehrfach aufgegriffen hat:

"Genesis" - Cover der amerikanischen AusgabeEinerseits einen Weg zur Unsterblichkeit des Menschen aufzuzeigen,
andererseits eine mögliche Zukunft für die menschliche Rasse zu kreieren.
Das macht er in einem breiten, über Äonen angelegten Epos der Menschheitsgeschichte, das zeitlich in unseren Tagen beginnt.

Es dauerte eine Weile, bis ich mich in den Roman und in den Erzählstil Poul Andersons hineingelesen hatte.
Die Spannung wird nur sehr langsam aufgebaut; die erste Hälfte des Romans besteht aus kleinen Geschichten in verschiedenen Handlungszeiten (Ob es ursprünglich Kurzgeschichten waren?), deren Verknüpfung sich dem Leser erst im zweiten Teil erschließt. Bei einer dieser (um S.99) überhaupt nicht, da auf die vorkommenden Charaktere / Situationen nicht wieder eingegangen wird

Der Schreibstil ist schlicht, mit kurzen einfachen prägnanten Sätzen, und recht trocken, ohne blumige Nebensatzverschachtelungen, die ganz im Gegensatz zu dem tiefen Hintergrund des Romaninhalts stehen.
Ob das auf Anderson selbst oder - durchaus denkbar! - auf die Übersetzung ins Deutsche zurückzuführen ist, kann ich nicht sagen, da mir das amerikanische Original nicht vorgelegen hat.
In der deutschen Übersetzung springt der Schreibstil im Roman recht unharmonisch zwischen rein handlungsorientierten, teils actionhaltigen Teilen und tief philosophischen Betrachtungen hin und her.
Der Hinweis im Text, dass "alles viel komplizierter sei als geschildert" hilft leider auch nicht zum besseren Verständnis dieser Passagen.

Das Buch ist voll von faszinierenden Ideen für die mögliche Zukunfte der Menschheit, also geradezu ein Quell für Fans solcherart SF. Doch es fehlt die plausible Verknüpfung von ihnen zu einem großen Ganzen.
Es ist wie bei einem Brainstorming auf einer Konferenz:
V viele tolle Ideen werden anfangs auf den Tisch geworfen, aber sie müssen noch geordnet werden.
Oder vergleichbar einem Kartenspiel, dass man offen auf den Tisch wirft: viele schöne Karten, aber wie passen sie für's Spiel zusammen?

Viele der ins philosophische gehenden Betrachtungen mochte ich genauer beschrieben und tiefgründiger erklärt sehen:
z.B. die psychologischen Auswirkungen der Matrixeinspeisung für den Menschen selbst, die Entwicklung des Internets zu TERRA CENTRAL, die Machtübernahme in der Galaxis, die komplizierte Verwobenheit der KIs in den zahlreichen Sonnensystemen unserer Galaxis...
im Umfang dieses Taschenbuchs war einfach viel zu wenig Platz dafür.

Deshalb stellte sich mir nach dem Lesen die Frage, ob Poul Anderson nicht mit GENESIS - Der Titel legt solche Gedanken nahe - einen viel größer angelegten Roman schreiben wollte, als wie er letztendlich vollendet wurde?
Aus dem tragischen Grunde, dass es die zunehmend schlimmer werdende Krebserkrankung des Autors nicht mehr zu ließ Gedanken auszuführen, die eigentlich ausgeführt werden wollten?
Man könnte aus dieser Perspektive GENESIS als "Fragment"-Roman bezeichnen, bei dem viele Fragen offen geblieben sind. Fragen, die die Leser zur Diskussion anregen werden...
wobei das nicht missverstanden werden soll:
Der Roman hat ein schlüssiges Ende!

Fazit:

GENESIS ist es wert gelesen werden, ja man muss das Buch mehrmals lesen, damit es sich dem Leser ganz erschließt.
Es ist keiner dieser leichtverdaulichen In-einem-Rutsch zu lesenden Romane, die man danach getrost in die Flohmarktkiste steckt.
Stattdessen wird man Teile oder Kapitel lesen, das Buch aus der Hand legen und über den Inhalt beginnen nachzudenken... gerade weil die Romanzeit zu Anfang mit unserer Realzeit übereinstimmt:
Welchen Weg wird die Entwicklung des Internets gehen?
Wird es eine Verknüpfung von ihr und der Gentechnik hin zum "Maschinenmenschen" geben?

Ein geradezu ideales Buch für eine SF-Stammtischrunde in kalten Wintertagen...

Joe, the Nighthawk


Nachruf auf Poul Anderson

Poul Anderson

Der Name Poul Anderson (1926 - 2001) wird jedem wahren SF-Fan wohlbekannt sein. Poul Anderson schrieb über mehr als 50 Jahre lang Science Fiction und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Er verstarb 74jährig am 31. Juli 2001 in seinem Wohnsitz Orinda/Kalifornien an den Folgen von Prostatakrebs.
Geboren wurde Poul in Bristol im Bundesstaat Pennsylvania als Sohn dänischer Eltern. Für kurze Zeit lebte er auch in Dänemark. Nach dem Ende des Studiums entschied er sich mutig als freier Schriftsteller zu arbeiten.

Cover Terra #537 "Das Archiv in der Geisterstadt - copyright VPM1952 erschien der erste Roman "Vault of the ages" (in der TERRA-Romanreihe erschienen als Bd. 537 "Das Archiv in der Geisterstadt").
Ein Jahr später heiratete er Karen Kruse; beide verzogen nach Kalifornien. Ihre Tochter Astrid ist mit dem SF-Autor Greg Bear verheiratet.

In den folgenden fünfzig Jahren schrieb Poul Anderson über 100 Romane und ich-weiß-nicht-wie-viele Kurzgeschichten/Novellen. In der letzteren Gattung gehörte er zu den Meistern des Genres. Die acht HUGOs, drei NEBULAs und den GANDALF MASTER AWARD gewann er fast ausschließlich für solche Veröffentlichungen. Als Romanautor war er weniger gut und deshalb auch weniger erfolgreich. Als wichtigstes Romanwerk gibt das HEYNE SF-Lexikon "Brain Wave" ("Die Macht des Geistes", erschien bei HEYNE 06/3095) an:
Eine kosmische Strahlung verändert die Lebewesen auf der Erde, Mensch wie Tier... sie werden intelligenter. Doch der Preis dafür ist ein Verlust an Identität...

Cover "Korridore der zeit" v. Poul Anderson - copyright Heyne VerlagPoul Anderson schrieb sehr gerne Serienromane.
In den 60er Jahren erfand er die "Zeitpolizei". Die TERRA-Romane um die Zeitagenten, die durch die Zeit reisen konnten um Verbrechen aufzuklären, habe ich damals mit Begeisterung verschlungen
(lks. das Cover eines später als HEYNE-Roman erschienenen Abenteuers der Zeitpolizei).

Spätere Zyklen handelten von der Psychotechnischen Liga und später von dem interstellaren Agenten Dominic Flandry
(Tip: Han Jones hat Dominic Flandry in seiner Galerie auf der TCE CD-ROM verewigt).

Sieht man Pouls Zyklen als zusammengehörig, so stellen sie eine fantastische Reise in die technische Zukunft der Menschheit dar.

Quelle: HEYNE SF-Lexikon, SF-Infodienst


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Letztes Update dieser Seite am 23. Dezember 2001