Paradise # 47 | DIE ACHTE WELT © Thomas Orbiter Phoenix Kohlschmidt |
Das war das Ende!
Für Frank stand es fest, dass er diese Nacht nicht überleben
würde. Hier und heute würde sein verfluchtes verpfuschtes
Leben aufhören ihn zu quälen. Er würde sich seinen
Säuferschädel von den Schultern blasen. Den Revolver dazu
trug er in der rechten Manteltasche bei sich, und er konnte das kalte
Metall mit der Hand spüren, die schwere Waffe gegen seinen Schenkel
pendeln fühlen.
Natürlich regnete es!
Frank kniff die Augen zusammen und sah hinauf in den finsteren Abendhimmel
über Hamburg. Wilde Wolken zogen dort im Dunst der Großstadt,
dieser perversen, stinkenden, dröhnend hektischen Hure!
Er taumelte den glitschigen Weg zu den Landungsbrücken hinab.
Am Glockenturm der Schwedischen Seefahrerkirche konnte er ablesen,
dass es gerade 23:24 Uhr war – kurz vor Mitternacht.
Frank verzog sein Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Um Mitternacht
würde alles vorbei sein! Er hatte es nun nicht mehr weit bis
zur Überseebrücke. Er würde die Bohlenrampe hinabwanken,
bis er auf der Schwimmplattform ankommen würde, an der heute
keine Schiffe lagen. Stockfinster war es jetzt da unten. Und hier
– im Angesicht der erleuchteten Docks der BLOHM & VOSS-Werft,
mit Ausblick auf ihre nimmermüde Geschäftigkeit und unter
dem Singsang ferner Schleifmaschinen und Fräsen, würde er
den Revolver zücken.
Er würde ihn ganz langsam heben, die Feierlichkeit des Augenblicks
einen Herzschlag lang schweben lassen und dann den Lauf der Waffe
zwischen seine Zähne schieben. Er wusste, wie das Metall schmeckte,
denn er hatte zuhause in seinem dumpfen Wohnloch wie unter Zwang seit
Wochen schon "Generalproben" durchgeführt. Und er war
dann immer zu schwach gewesen wirklich Schluss zu machen. Aber nicht
heute Abend!
Heute würde sich die Kugel lösen und sein ekelhaft denkendes,
fühlendes, leidendes Gehirn zerfetzen und in die Hölle jagen,
oder sonst wohin! Scheißegal!
Frank war jetzt am Hafen angekommen.
Dies war immer schon sein Lieblingsplatz gewesen, hier würde
er aus dem Leben gehen. Wie oft hatte er sehnsüchtig all den
Schiffen nachgesehen, die wie bewegte Kontinente die Elbe zum Meer
hinabgeschwommen waren. Stolz. Unerschütterlich. Unerreicht.
Heute waren keine Schiffe zu sehen, nur das skelettierte Halbwrack
drüben im Schwimmdock, an dessen Stahlrippen unzählige Menschlein
wimmelten um zu schweißen und zu bohren. Frank konnte die Funken
stieben sehen. Sie warfen hektische Lichter auf das Schwarz des trägen
Elbwassers.
Der angetrunkene Mann seufzte. Er spürte seine Augen brennen.
Schmerz kroch unter seine Lider. So war es immer gewesen: Er war auf
der anderen Seite des Flusses zurückgeblieben, am anderen Ufer,
während das Leben gegenüber bunte Kapriolen schlug oder
wie selbstverständlich seine Blüten trieb. Dort arbeitete
man, errichtete Karrieren und Häuser, fand Aufgaben und Freunde,
für die es sich zu streiten lohnte, oder... oder... nein!!!
Er wollte das jetzt nicht denken, nicht fühlen!
Er fasste den Revolver in der Manteltasche fester.
Aber sein beschissener Kopf ließ sich nicht stoppen!
...oder man verliebte sich!
Ein Rasiermesser aus Kummer durchdrang seinen Suff und eine Klinge
tanzte grausam Ballett. Anmutig, fast zärtlich, zerlegte sie
sein Herz in triefende Scheiben.
Frank winselte und stützte sich am Hafenbeckengeländer neben
der Überseebrücke auf.
Sina!
Der Name ließ seine Adern schmerzen, jede einzelne Nervenfaser
brennen. Und Tränen schossen ihm über die Wangen.
WARUM?!... fragte er sich sich getragen von Wut, die zu Hass
aufschäumte und ihm die Brust in ein Inferno aus schmerzenden
Kräften verwandelte. Er legte den Kopf in den Nacken. Dort oben
jagten immer noch die Wolken entlang. Hämische Wolken, grinsende
Fetzen, die auf seine geschundene Seele herabpissten!
"Warum, Gott? Warum? Du... du Arschloch!! Du widerliche Drecksau!!
Ich... ich habe nie darum gebeten geboren zu werden!! Wa- rum?! Wa-
rum muss es mich geben?!?"
Er zitterte jetzt, schämte sich seiner Blasphemie, konnte aber
die Bitterkeit nicht mehr anders fassen. Er kotzte seinen Schmerz
jetzt auf die Fliesen des Hafenweges.
"Du Arschloch, Du Mistkerl! Du Versager!!!... Du willst allmächtig
sein? Und erschaffst so einen... einen... Wichser, wie mich?!! Ha,
das ist Klasse!!"
Zynisches Lachen entrang sich seiner Kehle und er setzte sich wieder
in Bewegung. Ein Gespenst schien ihn zu jagen, ein warmes Lächeln
aus fernen Tagen, ein liebes Gesicht, das jetzt schlimmer war, als
jeder Fluch.
"Liebe!" stieß er aus, "Liebe! Das
ist wohl Deine größte... Verarsche, was!!??"
Wieder richtete er seine Augen zum Himmel, hinein in den Regen,
und musste husten.
"Gott, ich hasse Dich!" flüsterte er zischend
wie eine Natter.
Er stürzte die Überseebrückenrampe hinunter zum Ponton,
der wie ein Schlund auf ihn zu warten schien.
Warum hatte er diese Frau so lieben müssen, und warum hatte Gott
sie ihm weggenommen? Vor seinem inneren Auge erschien Frank das Zeitungsfoto,
dieses grauenhafte Abbild zerknüllten Metalls, diesen Gewölles
aus Glas, Stahl und Lack, in dem Sinas Leben zerquetscht worden war.
Dort drinnen war ihr süßes Lächeln in Sekunden zermalmt
worden, ihr Schädel war geborsten, ihr Gehirn wie Pflaumenmus
verspritzt.
"Oh Gott, und ich soll Dich lieben?!! Niemals, niemals, hörst
Du??!!"
Frank stand jetzt auf der schwimmenden Plattform im
Elbstrom und weinte wie ein Kind. Er fingerte hektisch nach dem Revolver.
Ein verheulter Seitenblick zum Kirchturm zeigte ihm, dass es nun fast
soweit war: 23:55 Uhr. Gleich würde es vorbei sein.
Endlich konnte er den Griff der Waffe zu fassen bekommen und zog sie
hervor. Drüben im Schwimmdock spritzten die Funken heller. Flussabwärts
loderten die Feuer auf den Schornsteinen der Raffinerien, und es roch
nach Salz und Fisch. Der Wind schien ihn jetzt zu streicheln, der
Regen war weniger geworden...
Frank rief sich Sinas Sarg in Erinnerung, konzentrierte sich auf sein
zuckendes Herz, den Schmerz, die Scherben seiner Seele und hob den
Lauf zum Mund.
"Hoffentlich komme ich nicht in den Himmel!", dachte
er, aber da bestand wohl keine Gefahr, nachdem er Gott so beschimpft
hatte. Nach all seinem eigenen Versagen, seinen feigen Fluchten und
Wortbrüchen, nach all den Verletzungen, die Frank geliebten Menschen
in letzter Zeit zugefügt hatte, nach all dem aufgestauten Mist
in seinem Leben war das ausgeschlossen. Für ihn würde es
HÖLLE heißen! Aber das konnte nicht schlimmer sein als
das hier! Jede Veränderung war ein Segen! Nur weg von hier!!!
Er schob sich den Lauf in den Kopf und atmete jetzt ganz flach. Sein
Puls jagte. Der Alkoholnebel wallte rot und lüstern. Frank zitterte,
Gleich... gleich... JETZT!
In genau diesem Augenblick größter Hitze,
dampfenden Fiebers, brodelnder Hysterie, in diesem Augenblick erfasste
ihn eine eiskalte Woge.
Frank schrie auf. Sein Atem gefror, ebenso jede Bewegung. Es schien
so, als würde kristallklares Wasser wie in einem Sturzbach über
ihn geschüttet. Ein Wirbel aus kaltem Blau erfasste ihn. In Kontakt
mit seinem glühenden Körper zischte die Flut. Dampf umwogte
ihn.
Der Verzweifelte hörte sich unablässig schreien, aber gleichzeitig
sah er sich weit weg, wie hinter einem Vorhang aus Eiskristallen tanzen.
Seine Knochen wurden Gletscher, sein Fleisch Schnee.
Seine Augen hatte er weit aufgerissen. Sein Hirn war wie aus Glas
so klar und jedes bisschen Dumpfheit war schlagartig dahin.
Er knirschte mit den Zähnen auf dem Lauf der Waffe und schmeckte
trotz taubgefrorener Zunge sein öliges Metall, sodass er würgen
musste.
"Keine Angst, sterbliches Wesen!"
hörte Frank plötzlich eine Stimme in seinem Kopf sprechen,
"es wird gleich besser sein. Keine Angst!"
Er warf nun wilde Blicke aus den Augenwinkeln um sich, denn zu
größeren Bewegungen war er immer noch nicht fähig.
Hatte er abgedrückt und dies war der Übergang in die Hölle?
"Nein! Dies ist nicht das Leben danach!",
antwortete die Stimme auf seine unausgesprochene Frage, "Ja,
Frank Niebuhr, ich kann Deine Gedanken lesen. Ich kenne Dich! Du bist
mein Schützling!"
"W... w... wer bist Du?", stammelte Frank
und bemerkte, dass der Lauf des Revolvers sich nicht mehr in seinem
Mund befand. Die Waffe lag schwer in der Hand des Armes, der rechts
an seinem Leib ohne Gefühl darin herunterhing.
"Ich habe Milliarden von Namen und keinen!
Ich bin ein Wesen, das Du niemals begreifen kannst, aber ich verstehe
DICH!"
Was war hier los? War er endlich verrückt geworden? Übergeschnappt?
"Nein Frank, glaube mir: Du bist klarer als jemals
zuvor in Deinem verunglückten Leben auf der Achten Welt! Du bist
am Leben und dies hier geschieht wirklich!"
"Wo... wo bin ich?"
"Immer noch dort, wo Du warst. Aber ich habe
- sagen wir einmal für Dich verständlich - die Zeit eingefroren
um in Ruhe mit Dir sprechen zu können."
"Warum? Was willst Du? Wer bist du?"
"Ich bin Dein Bewahrer. Sei froh, dass
Du einen hast! Nicht jede Seele bekommt einen Beschützer wie
mich."
"Ein Schutzengel? Du bist ein Schutzengel?"
"Nein! Ich bin kein geflügeltes Wesen,
kein religiöses Symbol, kein naiver Traum! Ich bin Dein Helfer,
Dein Richter, Dein Henker, wenn die Zeit gekommen ist!"
"Du bist eine Vision!" flüsterte Frank in
aufkeimender Panik, "Ich träume!!"
"Fühle in Dich hinein, Frank Niebuhr!
Was sagt Dir jede Deiner Zellen? Bin ich ein Spuk? Mehr nicht? Du
weißt es besser! Fühle!"
Frank war verwirrt. Er spürte
Angst und Wut in sich hochsteigen, aber gleichzeitig gewahrte er ein
sonderbares Kribbeln. Es war ein warmes Etwas, eine Bewegung, eine
Welle in ihm. Es fühlte sich so ähnlich an, als ob Cognac
den Magen erreicht, nur, dass dies sein ganzes Ich durchlief. Ein
schönes, heilsames Schaudern war es. Etwas...Gutes.
Nein, das musste Betrug sein!!
"Zeig Dich! Ich hasse es, wenn man mich verarscht! Was soll
das Ganze? Ich falle nicht drauf rein! Zeig Dich!", stieß
er so fest hervor, wie er noch konnte.
Vor seinen Augen teilte sich der Dampf und zwei hell leuchtende Augen
erschienen. Sie strahlten ein warmes Licht aus und hatten seltsam
funkelnde Pupillen, in denen unablässig Feuerwerke aufzusteigen
schienen. Er konnte in den Tiefen des Blickes Kaskaden aus Funken
erkennen, ein Pulsen von Wahrem.
"Mehr werde ich Dir nicht zeigen, denn es würde
Deinen Verstand zerstören!"
"Der ist schon hinüber, Schutzgeist! Verlass Dich
drauf!", stieß der Mann mit dem Revolver zynisch hervor
und ärgerte sich darüber, dass er den Hauch nicht ignorieren
konnte, der ihn mehr und mehr erfasste, umstreifte, streichelnd beruhigte.
"Du willst mich einlullen? Willst Du mich berauben?!"
"Nein, Frank! Du beraubst Dich selbst am
meisten. Ich bin gekommen um mit Dir zu sprechen, bevor Du auch diese
Welt wieder so kläglich verlässt, wie die vorigen sieben!"
Frank stutzte. Hatte er richtig gehört? Was sollte das bedeuten?
"Die vorigen sieben Welten? Wovon sprichst Du, Mann?"
Er wurde wieder wütend. Er versuchte seinen rechten Arm zu
heben, aber es misslang ihm. Er versuchte es erneut: vergebens!
"Hej, Schutzgeist! Hör auf mit dem Scheiß! Lass
mich los! Ich will endlich... !"
"Du willst Selbstmord machen und Sina ein
weiteres Mal im Stich lassen!", donnerte die Stimme
unvermutet heftig, und die Augen wurden für eine Schrecksekunde
schmal vor ihm. Sein Herz zuckte wie unter einer Peitsche zusammen.
"W... w... Was?!!" Frank fühlte Eis durch seine
Adern jagen, sein Rückgrat schien zu bersten.
"Ich lasse Sina im Stich? Sina ist tot!!! Sie ist tot!!!"
Und wieder brannten ihm die Augen vor Tränen.
"Nein! Sie ist nicht tot! Sie lebt! Sie existiert
nur nicht mehr in dieser Welt! Wir haben sie transferiert. Wir sind
die Bewahrer, und auch Sinas Seele ist Teil unserer Aufgaben."
Frank sträubten sich die Haare. Er schluckte mehrmals.
"Ich bin besoffen, stimmt´s ?"
"Fühle in Dich", sagte
die Stimme jetzt wieder in mildem Tonfall, "Glaubst
Du, dass Du betrunken bist? Ist es wirklich so einfach für Dich
das Ungewöhnliche abzutun?"
Der Verzweifelte stutzte und sah in die fremden Augen.
Er fixierte sie, prüfte sie. Es war wie ein Duell des Glaubens.
Schließlich, nach durchzitterten Sekunden, Minuten, Stunden...
nach einer völlig unbestimmbaren Spanne an Zeit senkte Frank
den Blick und seufzte.
"Nein. Es ist verrückt. Aber ich weiß, dass ich
nicht träume oder im Delirium bin!"
Das Augenpaar blieb unverändert, aber die Stimme in seinem
Kopf wurde sanfter.
"Du beginnst endlich zu verstehen: Dein Hass
und Misstrauen zerstören Dich, wenn Du nicht aufpasst!"
"Na und? Ich bin wertlos!"
"Das bist Du nicht! Sonst wäre ich nicht
hier! Du hast recht: Es gibt Seelen, die werden im Schöpfungsablauf
zu schwach geboren, zu zaghaft in Glauben und Liebe. Sie vergehen
ohne Chance zwischen den Sternen und haben daher auch keinen Bewahrer.
Aber Deine Seele, Frank Niebuhr – wie Du auf dieser Welt gerade heißt
– Deine Seele muss kämpfen, um es zu schaffen! Wir haben Dich
noch nicht aufgegeben!"
"Ihr? Die Bewahrer? Ihr beschützt ‘hoffnungsvolle
Seelen‘?!" Frank kicherte ironisch, "Das klingt zu
schön, zu süß... niedlich geradezu!"
"Deine Bitterkeit hat Dich immer noch im
Griff und das ist verständlich! Auch diese Welt ist eine schlimme
Arena für Dich! Wir wissen das, aber es muss sein. Sonst wirst
Du die Seele, die hier SINA hieß, niemals befreien können!"
"Du sagtest, sie lebt noch", flüsterte Frank
zaghaft und sein Herz drohte auszusetzen, so sehr fürchtete er
die Wahrheit des Fremden, die er mehr und mehr ahnte, die ihn jedoch
mit unbestimmter Furcht und Scham erfüllte.
"Sie lebt",
sagte die Stimme mit den seltsamen Augen, "Und sie leidet,
denn sie ist ohne Dich. Ihr seid ein Seelen-Paar, jeder die Hälfte
des Ganzen. Aber ihr verliert euch nun schon seit acht Welten!"
Frank konnte seinen Arm immer noch nicht rühren.
Gerade hatte er es erneut versucht.
"Acht Welten, die Erde eine Arena! Was soll das?"
"Die Erde ist für viele Seelen ein Ort
der Bewährung!", sagte das unfassbare Wesen jenseits
des Dampfes, "Für Sina und Dich war sie
als Testwelt gedacht, an deren Herausforderungen ihr wachsen solltet
um so stark zu werden, dass euch weder Hindernisse, noch Schicksalsschläge
und Schmerzen voneinander abbringen würden. Diese innere Stärke
ist der Glauben an das Gute! Es ist die Hoffnung! Aber Du hast wieder
aufgegeben. Du bist in Angst versunken, genau wie Sina auch! – Weißt
Du, warum sie gestorben ist?"
"Weil Gott sie getötet hat!" zischte Frank.
"Nein! Weil Du nicht an sie geglaubt hast,
Frank! Du hast sie in der Unglücksnacht nicht gestützt und
gehalten, als ihre eigene Angst sie fressen wollte. Sie
dachte nach eurem Streit am Telefon, Du würdest sie nicht mehr
lieben! Sie ist in purer Verzweiflung mit dem Auto losgefahren um
bei einer Freundin Trost zu suchen. Die Strecke dahin war dunkel und
kurvenreich. Es hat geregnet. Sie hat geweint..."
"HÖR AUF!!!...Hör...auf!! Du Schwein!!
Jetzt weiß ich es: Du willst mich quälen! Ich bin doch
schon in der Hölle!!"
"Nein, Frank, geprüfte Seele! Du bereitest
Dir auf jeder Welt die Hölle selbst, weil Du nicht glauben willst!"
"Ich kann nichts dafür!!!", schrie Frank
und weinte jetzt wieder, "Damals war ich so wütend und
verletzt! Sie hatte sich mit diesem Stinktier Mark getroffen! Der
war schon immer scharf auf sie, und sie trifft sich mit ihm!! Ich
dachte sie würde mich betrügen!! Ich dachte sie lässt
mich... allein. Wieder allein... - Es... es tut mir leid! Es tut mir
so leid!"
"Das ist gut, Frank! Sehr gut, aber es muss
der Anfang zu etwas Neuem sein, zu einer Veränderung! Du musst
es wollen!"
"Was denn bloß?!!", heulte Frank und kniete
nun im Nebel.
"Deine Angst darf nicht immer gleich zu Wut werden.
Die Wut darf nicht in Hass münden! Du musst es lernen Deine Angst
zu ertragen! Du musst jeden Zweifel aushalten und trotzdem Dein Innerstes
öffnen!"
"Aber d... d... das ist unmöglich! Es tut so weh!"
"Richtig, Seele! Das ist die Prüfung
unserer Welten! Ihr müsst lernen alle Schmerzen zu besiegen,
indem ihr sie annehmt! Erst dann seid ihr stark genug, die Angst zu
bezwingen. Ihr beginnt dann mit ihr zu leben, ohne Flucht!"
"Und wenn der Schmerz uns tötet?"
"Das wird er nicht!"
"Woher weiß ich das?"
"Du musst es glauben! Das ist immer wieder
der Punkt, auf den es hinausläuft! Wie viele Welten willst Du
noch verlieren?"
"Nicht eine!! Das habe ich nie gewollt! - Aber das ist
doch alles frommes Gelaber wie in der Kirche!" bäumte
sich Frank ein weiteres Mal auf, "schickt Dich Gott?"
"Wir haben unsere Aufgabe als Bewahrer. Wir
spüren sie in uns und sind selbst von Größerem erschaffen.
Wir nennen es nicht GOTT, aber es hat Tausend Namen in Tausend Welten.
Namen sind nicht wichtig, sondern auf den Kern kommt es an. Viele
Erd-Religionen und -Philosophien versuchen etwas davon einzufangen..."
"Wiedergeburt, Bewährung, Wiedergeburt, Bewährung,
Erlösung..."
"So nennt man es hier oft, man kann es auch
anders nennen. Die Wahrheit bleibt!"
Frank schwieg und sah zu Boden. Seine Wut zerfloss noch
weiter, wurde matt und matter. "Was soll ich nun tun? Was
kann ich tun?"
"Tapfer sein, Frank! Versuche es auszuhalten!
Bleibe noch hier. Durchquere den Fluss, strebe ans andere Ufer und
mische Dich ein. Geh noch nicht von dieser Welt!"
"Aber Du sagtest, Sina lebt! Ich will zu ihr!!"
Frank schien zu flehen. Seine Stimme versagte ihm.
"Sie existiert auf einer anderen Ebene. Wenn
Du jetzt zu ihr gehst, scheitert ihr auch im nächsten Universum.
Wir haben sie extra hier herausgeholt, um Dir eine Art von Schock
zu verpassen, damit Du endlich gezwungen bist an Dir zu arbeiten!
Eine Flucht ist nicht die Lösung! Versteh doch endlich: Wir Bewahrer
bemühen uns nun schon so lange darum euch zu helfen! Wer weiß,
wie viele Chancen wir euch beiden noch gewähren dürfen,
bis wir neue Aufgaben bekommen und ihr doch als schwache Seelen geltet..."
"Werde ich sie jemals wiedersehen?", fragte er
unsicher.
"Du wirst sie auf jeden Fall wiedersehen! Entweder
als der, der Du jetzt bist – ein gebrochener Mann ohne Kraft - , oder
aber später. Dann bist Du ein Stärkerer, jemand, der diese
Welt und ihre Ängste bewältigt hat. Wenn Du so zu Sina gehst,
kannst Du sie vielleicht für immer halten. Und bedenke: Auch
sie kämpft in einer anderen Zeit und Welt um das gleiche Ziel,
bis Du wieder bei ihr bist. Tue Deinen Teil für euch!"
"Ich weiß nicht...", Frank schüttelte
den Kopf, "ich weiß nicht..."
Kälte kroch in seinen Mantel.
Er fuhr sich über den Kopf. Regen. Es regnete
wieder!
Er riss seine Augen auf und warf den Kopf hin und her. Der Dampf war
verschwunden, ebenso waren die seltsamen Augen verschwunden. Und er
konnte sich jetzt wieder bewegen!
Von BLOHM & VOSS kreischten Fräsen herüber. Der Revolver
lag noch immer in seiner Hand. Vorsichtig hob er ihn, Stück für
Stück hob er ihn, näher und näher hin zu seinem Gesicht.
Schon konnte er die Mündung sehen, deren schwarze Öffnung
ihn wie ein Totenauge anstarrte. Wie ein kaltes Tier kroch die Waffe
heran.
Als das Metallrohr seine Lippen berührte, hielt er inne. Langsam
schlug das Herz.
Diese Stimme und diese Augen wehten durch seinen Kopf. Das Gefühl
von Wärme war ein Echo in ihm. Aber konnte das stimmen? Die Erde
eine Welt von vielen, eine Bewährungsprobe? Und Sina war noch
am Leben? Was, wenn alles nur eine Vision gewesen war, ein Trick des
Alkohols, ein Notausgang des Herzens kurz vor dem Aus?
Wie in Zeitlupe öffnete Frank den Mund, hielt den Revolver dicht
davor, ein einsamer Mann auf schwankender Plattform um Mitternacht
auf dem Elbstrom. Die Uhr schlug jetzt zwölf.
Und da fühlte er in der anderen Hand einen Gegenstand. Da war
etwas in seiner Linken!
Frank hob nun auch den anderen Arm und blinzelte aus den Augenwinkeln
hinüber.
Ganz langsam öffnete er seine kalten Finger und ein Leuchten
blühte auf. Inmitten des Lichtes befand sich ein länglicher
Stein, ein Kristall. Und in diesem pulsierten Funken. Nein, jetzt
sah er es: Dort stiegen unablässig Feuerwerke auf. Schweigend,
erhaben, wunderschön!
Der Mann zitterte jetzt stärker, sein Blick trübte sich
mit Tränen.
Und langsam, ganz langsam ließ er die rechte
Hand sinken.
Er ließ den Revolver in die Pfützen fallen und ging, die
Linke an die Brust gepresst, den dunklen Weg zurück.