Paradise # 47 | Sic transit... © Christian Prospero Spließ |
Holoprojektion: Ein blasser, blauer Hintergrund. Fast wie das vergehende
Blau eines Sommertagabends. Davor erhebt sich ein Gewirr silberner Drähte,
verschmolzen auf schwarzen Ebenen. Ein unendliches Labyrinth in dem sich das
Auge verwirrt.
Die Sicht verändert sich, entfernt sich vom Detail. Allmählich erkennt
man den Chip, der vor einem schwebt. Eine Offenbarung reiner Technik. Dann
erlischt die Projektion.
Ein Flackern. Ganz leicht nur. Die Kamera verwischt
für einen Moment das Bild eines Beratungszimmers. Zoomt dann so, dass
alles bequem im Bild ist. Die Nüchternheit und Strenge des Zimmer stehen
im Gegensatz zum lächelnden Gesicht des Wissenschaftlers, der hinter
einem gläsernen Tisch sitzt. Oder vielleicht doch nicht, denn es ist
ein Lächeln, das seltsam antiquiert wirkt.
"Das Herzstück unseres Projektes haben sie eben gesehen."
Er spricht zu zwei Männern im mittleren Alter. Einer von ihnen hat
ausgefranstes, üppig rotes Haar, das zu allen Seiten absteht. Offenbar
eine Mode. Am Ansatz sieht man, dass seine Haare gefärbt wurden. Er
hat ein junges, offenes Gesicht, doch es ist, als ob Schatten darüber
hinwegziehen.
Der andere stellt seine Sonnenbrille gerade auf das Zimmerlicht ein. Das
leise Summen der Kamera überdeckt das Geräusch, dass das elektronisch
öffnende Glas in die Stille wirft. Er wirkt älter als sein Platznachbar,
reifer. Sein Gesicht ist etwas eingefallen. Eine Pockennarbe am rechten
Nasenflügel zuckt unruhig hin und her, ab und an muss er sich schneuzen.
"Der Chip trägt in sich biochemische Botenstoffe, die durch die
Aktivität der Nervenzellen ausgelöst werden und sich im Körper
verteilen. Es ist keinerlei Risiko vorhanden, die Botenstoffe kommen auch
- wenn auch in gemindeter Form – im Körper vor. Marathonläufer
kennen das Gefühl des vollkommenen Glücks, da das Gehirn bestimmte
Hormone ausschüttet beim Laufen. In veränderter Form passiert
dies auch bei diesem Chip."
"Risiken?", fragte der mit der Pockennarbe. Der Wissenschaftler
rückt seinen Kittel zurecht. Fährt dann fort. "Keine. Vielleicht
die ein oder andere Gefühlsverwirrung – aber nichts, was sie irgendwie
beeinträchtigen könnte." Der Rothaarige scheint skeptisch
zu sein, sagt jedoch nichts. Wartet ab. "Wann soll die Operation sein?"
Eine Frage des Anderen. "Morgen," sagt der Wissenschaftler ernst.
"Nachdem wir die Schnittstellen ausgewertet haben und die gesundheitlichen
Gutachten, sind wir der Meinung, dass sie, Peter Hüon, der geeignetere
Testkandidat ist. Die Rolle des Beobachters fällt somit ihnen zu."
Er nickt dem mit der Pockennarbe zu. "Die erforderliche Hardware wird
zeitgleich eingebaut."
Weiche Abblende.
Voicediary: Noch hat sich nichts verändert. Ich fühle mich immer noch wie am Tag zuvor und an dem Tag, der dem voranging. Merkwürdig. Die Ärzte sagen, es sei eine normale Reaktion. Der Körper muss sich an den Chip anpassen. Glücklich bin ich noch nicht.
Diesmal kein Summen der Kamera. Vollkommene
Stille, während das Bild unwirklich flackert. Unscharf wird ab
und an und sich dann auflöst. Zerfasert – dann wieder schärfer
werdend. Textzeilen werden auf einmal eingeblendet: "Erster Tag
mit Hardware."
Dann auf einmal Sonne, Licht, Luft. Ein breiter Schwenk über
riesige Stahlboliden. Es könnte eine Fabrik sein, Wohnsilos könnten
es sein. Die Textzeile bleibt unverändert.
Voicediary: Der Himmel hat ein merkwürdiges Blau. Ist denn schon Sommer? Aber es kann nicht sein. Auswirkungen des Chips? Esse mehr als zuvor. Setze richtig Fett an. Als würde ich Winterschlaf halten wollen. Merkwürdig. Spüre ab und an das Verlangen, einfach so loszulaufen. Vom Dach des Silos müsste die Aussicht wunderbar sein. Aber die Tiefe, die Tiefe macht mir immer noch Angst. Sie lockt.
Textzeilen huschen über den unteren
Bildrand. Kopf-CNN. Das Bild der Kamera ist ruhiger als bei der ersten Aufnahme.
Testkandidat lächelt. Erzählt von alltäglichen Dingen.
Schnitt. Einblendung."Erste Woche." Szenenrausch. Abfolge von
Eindrücken wirkt auf die Korona des Zuschauers bedrückend. Testkandidat
lächelt unaufhörlich. Meint, er fühle sich besser als jemals
zuvor. Sagt aber auch, daran sei keinesfalls der Chip schuld.
Wissenschaftlicher Zwischenbericht: Das Experiment verläuft bisher vielversprechend. Trotz der Tatsache, dass der Testkandidat immer noch meint, es hätte sich nichts geändert, zeigen die optischen Auswertungen sowie die Daten, die direkt an die Zentrale geliefert werden eine eindeutige Steigerung der Körperchemie um rund 20%. Körper hat den Chip innerhalb der ersten Woche angenommen – Abstoßreaktionen so gut wie keine.
Beobachterprotokolle in Ordnung. Die nächsten
Wochen werden zeigen, ob der Chip wirklich die Gefühlswelt beeindrucken
kann.
Beobachterprotokoll: "Weißt du, vorhin kam eine Holonachricht.
Ein Bekannter ist gestorben. Einfach so." Testkandidat lächelt
in die Kamera. "Sein Leiden hat ein Ende. Ist das nicht gut?"
Voicediary: Bin überrascht, wie einfach das Leben geworden ist. Stehe jeden Morgen mit einem Lied auf den Lippen auf. Wenn die Sonne scheint, freue ich mich. Wenn es regnet, freue ich mich. Auf eine Art, die ich nicht fassen und begreifen kann, bin ich unendlich glücklich.
Ein Diagramm. Mehrere Linien, die sich im Mittelpunkt
eines Balkens treffen und danach gleichzeitig auf und ab gehen. "Synchronisierungsdatum",
steht mit rascher Hand daruntergepinselt. Im Hintergrund ein Murmeln, dann
Räuspern. Eine Hand taucht in die Projektion ein, zieht sich hastig
zurück, als sie merkt, dass sie stört.
Sprachbrocken. "Großer Erfolg. – Bisherige Ergebnisse überwältigend,
weil... – Serienproduktion?"
Voicediary: Schwimme in Glück. Unheimlich das. Es ist mir nicht möglich, irgendwelche anderen Gefühle als reines, tiefes Glück zu empfinden.