S C I E N C E   # 55

... aus Raumfahrt,  Wissenschaft und Forschung


Ein neuer Wettlauf zum Mars? - Russlands Pläne

von Joachim „Joe the Nighthawk“ Kutzner


Russisches Marsraumschiff

Russisches Marsraumschiff nach den Plänen von RKK ENERGIJA

Sind wir auf dem Weg zurück zu einem neuen Kalten Krieg im All?
Beginnt ein neuer Wettlauf im All - dieses Mal zum Mars?
Der derzeitigen US-Regierung unter Präsident Bush ist leider alles zuzutrauen. Das Programm der NASA scheint eine grundlegend neue Ausrichtung zu bekommen.
Fatal daran ist:
Ihre Zukunft begann mit einer Tragödie, der COLUMBIA-Katastrophe. Als der Shuttle mit 7 Menschen an Bord vor gut einem Jahr in der Erdatmosphäre verglühte, war das Unglück auch das Ende einer eher ernüchternden Ära der bemannten Raumfahrt.
Mit Shuttle-Transporten zu Raumstationen konnte man nicht so viel „hermachen“. Roboter auf fernen Planeten, wie jetzt die beiden Mars-Rover der Amerikaner 1997, sind ohne Frage wissenschaftlich sehr wertvoll; und für an der Raumfahrt Interessierte von höchstem Informationswert.
Was ihnen jedoch für die Aufmerksamkeit bei der breiten Masse fehlt, ist das Fehlen menschlicher Begleitung.
US-Präsident Bush hat die Situation - rein „zufällig“ im Jahr der Wieder(???)wahl - genutzt, um im weltmännischen Stile eines John F. Kennedy ein neues nationales Großprojekt zur Eroberung des Weltraums zu verkünden. Medienwirksam inszeniert bei seiner Rede zum 100. Jahrestag des ersten Motorflugs der Gebrüder Wright - natürlich rein „zufällig“ angesichts sinkender Umfragewerte daheim und einer nach wie vor instabilen Lage im Irak.

Wir haben sie mit Aufmerksamkeit gehört, diese Rede.

Natürlich freut es alle Raumfahrtbegeisterten, wenn auf unserem Trabanten bald die erste Mondbasis gebaut werden soll, Pläne dazu gab es schon genug, allein sie wurden bisher nicht verwirklicht. Und natürlich werden wir begeistert dabei sein, wenn die ersten Menschen mit neu konstruierten Raumschiffen zum Mars fliegen.

Gar nicht dagegen wollen uns die Konsequenzen dieser weitreichenden Pläne gefallen:
Das mögliche Aus für das HUBBLE-Teleskop hat eine weltweite Protestwelle angefacht. Die anvisierte Kündigung der ISS-Zusammenarbeit für 2010 ruft den Widerstand der europäischen, kanadischen und japanischen Partner hervor.
Weniger begeistert werden auch Bush’s Finanzpolitiker über die Ankündigung gewesen sein, denn sie müssen erklären, woher man die Milliarden US-$ dafür nehmen will, angesichts eines erwarteten US-Haushaltsdefizits von 500 Mrd. Dollar (auf us-amerikanisch hört sich das noch gealtiger an: 500 Billion $).
Doch schnell zu durchschauen sind Mr. Bushs Hintergedanken:
„Man kann die Aufmerksamkeit der Amerikaner nicht aufrechterhalten, wenn das Ziel zwanzig Jahre entfernt ist“, sagte z.B. der demokratische Abgeordnete Gordon.
Eine Mars-Mission würde angesichts der Finanzlage schlicht zu lang dauern. Also visiert man zuerst den Mond an, denn dieses Projekt dürfte auch finanziell zu realisieren sein.
Ein anderer Gesichtspunkt ist die wachsende Konkurrenz im All durch den aufgewachten Riesen China; denn die Chinesen wollen bis 2020 Taikonauten auf den Mond schicken. Die Russen waren bekanntlich nur unbemannt gelandet und sind, auch angesichts knapper Kassen, stets für eine Überraschung gut.
Möglicherweise trifft man sich also auf dem Mond um - für all die Ungläubigen - zu beweisen, dass die Amerikaner wirklich auf dem Mond waren. Oder doch nicht?
Für Wissenschaftler sind das nicht unbedingt schlechte Nachrichten. Die Erinnerungen an den Kalten Krieg sind für viele auch Erinnerungen an nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehende Forschungsgelder.
Jesco v. Puttkamer singt heute noch ein Lied auf die Goldenen Zeiten der Weltraumfahrt ...
Fraglich bleibt, ob Bush mit einer bloßen Rückkehr zum Mond die Massen so begeistern kann, wie es John F. Kennedy mit seiner legendären Rede tat?
Robert Zubrin, der Gründer der "Mars Society" meint spöttisch:
„Eine Farce ... wie will man die Jugend von heute ernsthaft mit einer Herausforderung inspirieren, die die Taten der Großeltern wiederholt?“

Die Russen reagierten mit aufreizender Lässigkeit auf die ehrgeizigen Weltraumpläne von Mr. Bush. Und konterten überraschend, in dem sie den Mund sehr voll nahmen:

„Wir können in zehn Jahren auf dem Mars sein!“

Konstrukteur Leonid Gorschkow vom Raumfahrtkonzern ENERGIJA:
Russland könne ein bemanntes Mars-Projekt technisch schon 2014 realisieren und nicht erst 2030, wie von den USA geplant. 16 Jahre früher als die Amerikaner und zu einem vergleichsweise Spottpreis von 15 Milliarden Dollar.
Möglicherweise aus Geheimdienstkreisen gut informiert ... jedenfalls scheint es für Außenstehende so, als haben die russischen Raumfahrtexperten nur auf diesen Moment gewartet:

Der Vizegeneraldirektor der russischen Raumfahrtagentur ROSAWIAKOSMOS, Nikolai Moissejew, stellt für das Jahresende ein eigenes Kosmosprogramm mit strategischen Zielen bis 2015 in Aussicht. Der Vizechef der Wissenschaftlichen Produktionsvereinigung LAWOTSCHKIN, Roald Kremnjew, erinnerte unverzüglich daran, dass sein Unternehmen innerhalb von drei Jahren ein neues Mondauto LUNOCHOD bauen könnte, sollte seine Regierung ihr Mondprogramm wieder aufnehmen.

Ja, die Bush-Rede war so etwas wie eine Steilvorlage für die Raumfahrtschmieden des Kreml, die bekanntlich bisher wegen des chronisch klammen Staatshaushalts an fehlenden Aufträgen zu leiden haben. Aber es nun den Amerikanern zeigen zu können, die ersten zu sein ... damit kann man bei der Regierung anklopfen und auf mehr Gelder hoffen.

Die Konstruktionspläne für eine Raumfähre, die Kosmonauten zum Roten Planeten bringen würde, sind nach russischen Angaben bereits fertig. Im Institut für medizinisch-biologische Probleme (IMBP) der Russischen Akademie der Wissenschaften bereiten sich zudem sechs Freiwillige darauf vor, 500 Tage in einer Isolierzelle für einen Mars-Flug zu trainieren!

Sollten die Amerikaner ihr Interesse an der ISS verlieren oder die Station aufgeben müssen, weil die US-Shuttles nicht mehr fliegen dürfen, wäre das für Russland auch kein Beinbruch. Dann würde man eben die frei werdenden Mittel in die nationalen Programme, die internationale Zusammenarbeit und die Entwicklung der kommerziellen Kosmosdienstleistungen stecken, sagte der Sprecher des Instituts für Kosmosforschung, Juri Saizew.
All das liest sich wirklich wie der Beginn eines neuen Wettlaufs ins All.


Betrachten wir daher einmal genauer Russlands Pläne für eine bemannte Marslandung, soweit sie bereits öffentlich bekannt geworden sind:

Das Mars-Raumschiff und sein Antrieb:

Das russische Mars-Raumschiff im Riss

Das Raumschiff selbst wird eher einer kleinen Raumstation gleichen, bestehend aus einzelnen Modulen, wie wir sie bereits von SALJUT, der MIR oder jetzt ISS kennen.
Das Wohnmodul wird eine vergrößerte Version von ZWESDA, dem russischen Wohnmodul der Internationalen Ramstation, sein. Hinzukommen wird u.a. ein Strahlenschutzraum, denn unterwegs können die Raumfahrer in lebensgefährliche Strahlenschauer geraten.
Wie bei ISS werden mit einer Gitterkonstruktion riesige Solarzellenflächen am Raumschiff montiert sein. Die Abbildung zeigt den phasenweise Zusammenbau. Mittig zwischen den Solarzellenflächen befindet sich das Raumschiff, daran angekoppelt über die lange Zugangsröhre das Landemodul. (Vgl. auch die Grafik am Anfang dieses Artikels)

Bauteile des Mars-Raumschiffs

Flüssigkeitstriebwerke sind zwar heute die meist benutzten und durchkonstruiertesten, sie kommen aber wegen ihrer geringen Effizienz für einen solch weiten Flug nicht in Frage.
Nuklear-thermische Antriebe könnten das Startgewicht einer Marsrakete zwar deutlich reduzieren, jedoch werden sie aus Umwelts- und Sicherheitsgesichtspunkten abgelehnt.
Daher hat man sich in Russland schon frühzeitig auf einen elektrischen Antrieb für kommende interplanetare Flüge festgelegt.

Das Gesamttriebwerk wird modular angelegt sein, d.h. aus vielen kleineren, voneinander unabhängigen Einzeltriebwerken bestehen, so dass der Ausfall einzelner Motoren nicht die Gesamtmission beeinträchtigen kann. Jedes Triebwerk wird über eigene Solarzellen, Konverter und Tanks verfügen.
[Hoffentlich hat man hier aus den Fehlern bei der Konstruktion der sowjetischen Mondrakete N-1 gelernt, deren Antrieb auch aus bis zu 30 Einzelmotoren bestand, und deren mangelnde Synchronisation alle Startversuche im Desaster enden ließ.]

Diese Triebwerke seien so effektiv, behauptet Leonid Gorschkow von RKK ENERGIJA, dass ein Marsraumschiff nach seiner Rückkehr in einer Erdumlaufbahn „geparkt“ werden kann, bis es zu seinem nächsten Flug aufbrechen wird. Einmal Mars und zurück würde einem Verschleißfaktor von 15% entsprechen, sodass ein solches Raumschiff bis zu 15 Jahren halten könnte.


Die Mission:

Einer der entscheidenden Parameter ist die Größe der Crew.

Allgemein geht man - wie auch bei den US-Mondlandungen - davon aus, dass die Besatzung aus zwei Gruppen bestehen wird:
Der Crew an Bord des im Marsorbit verbleibenden Raumschiffs und der Landexpedition.
Minimal werden also vier Menschen unterwegs zum Roten Planeten sein, denn es versteht sich von selbst, anders als bei den vergleichsweise kurzen Mondflügen, dass aus psychologischen und sicherheitsrelevanten Gründen jede Gruppe aus mindestens 2 Personen bestehen muss.

Interessanterweise haben sich die Russen gegen eine, bereits vorher dort gelandete, unbemannte Marsbasisstation entschieden (wie sie z.B. die MARS SOCIETY favorisiert). Dies mache das Gesamtprojekt nur wesentlich teurer ohne wirklichen Nutzen.
Kann z.B. aus bestimmten Gründen (ein gerade herrschender Orkan, felsige Oberfläche ...) die Expedition nicht in diesem Zielgebiet landen und muss ausweichen, hat die Errichtung der Basisstation ihren Sinn verfehlt.

Landeszenario

Technische Details:

Man kann sich gar nicht oft genug darüber aufregen, mit welch mangelndem Umweltschutz-Bewusstsein die Amerikaner an den Bau ihres ISS-Wohnmoduls Destiny herangegangen sind!
Nichts Neues eigentlich:
Sie sind nicht nur der Erde größte Umweltverschmutzer, sondern setzen diese schlechte Tradition auch im All fort.
Es gibt dort keinen Wasserkreislauf! Alles verbrauchte Wasser wird im McDonalds-Stil entsorgt: ab in den Weltraum.
Fragt nicht nach den Kosten für den Transport nach oben; euch würde schlecht werden.
Den Russen auch, denn nach dem COLUMBIA-Unglück sind die PROGRESS-Nachschubtransporte mit so vielen US-Wasserbehältern gefüllt, dass für vorgesehen Experimentalkisten kein Platz mehr ist.

Völlig anders dagegen sieht es in russischen Wohnmodulen aus:
Dort gibt es seit Jahren bereits einen hundertprozentigen Wasserkreislauf. Der Wasseranteil des Urins der Kosmonauten kann bis zu Trinkwasserqualität wiederaufgearbeitet werden! Nicht nur das, auch der durch die Haut ausgeschiedene Schweiß wird so wiederverwertet!
Natürlich übernimmt Russland diese ausgefeilte und ausgereifte Technik für sein geplantes Marsprojekt.

Übernommen wird auch das bei SALJUT und MIR bereits angewandte System der Wasser-Elektrolyse, mit dem man Sauerstoff aus Wasser gewinnen kann. Auf der Erde bereits erfolgreich in einem Langzeitversuch getestet, ist die nochmalige Verwertung der Atem“luft“ unter Zuführung von reinem Sauerstoff.

Zur Herstellung von Nahrungsmitteln ist man noch nicht so weit, die Kosmonauten durch Saatbänke und Tiergehege voll ernähren zu können. Es müssen daher ausreichende „Fresspakete“ mitgeführt werden, die lediglich durch kleinere Anlagen für den Gemüse“anbau“ und die Geflügel“zucht“ (Wachteln) ergänzt werden.


Quellen für Text und Bilder: Spiegel online, Raumfahrt Concret Nr. 3/2003


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Letztes Update dieser Seite am 29.01.2008