Geschichten der Nacht # 51

"Die Suche nach Jan van der Felden"

von

Chriistiane Lieke
("Wintermute")

Ein phantastischer Roman

erscheint im
Dezember 2005

Cover GdN 51 - copyright Christiane Lieke

zum Inhalt:

Es ist Winter. Es schneit aus allen Wolken.
Natascha und Jan hatten Freunde besucht, die ihnen zwar anbieten, bei ihnen zu übernachten, doch Jan will unbedingt nach Hause und so fahren sie mit ihrem Auto los. Jan lässt seinen Frust auf alles am Gaspedal raus, und so kommt es, wie es kommen muss:
Ein entgegenkommendes Auto blendet im Schneetreiben, zu schnell in die Kurve gefahren, herausgetragen, die Leitplanke durchbrochen und aus, das war's - ein kurzes Leben.
Doch Natascha, obwohl sie ganz sicher ist, tot zu sein, erwacht wieder in einer merkwürdig veränderten Welt, in der sie scheinbar die einzig lebende Person ist. D.h. nicht ganz: Ihr begegnet ein merkwürdiger Fremder in verschiedenen Gestalten.
Sie weiß, sie ist in die Hölle geraten und sie sieht es als ihre Aufgabe an, an diesem trostlosen Ort ihren ebenfalls toten Freund Jan van der Felden zu finden, um seine Seele zu retten.
Da sie alleine nicht zurecht kommt, vertraut sie sich dem Fremden an, der sich als Dämon zu erkennen gibt. Anthravar weiß zwar nicht, wo Jan zu finden ist, aber er ist bereit, für Natascha den Führer durch all die Höllenebenen (bewacht von furchterregenden Dämonen wie Belial und Moloch) zu machen, die Luzifer persönlich für all die verlorenen Seelen eingerichtet hat, die ihm zugefallen sind. Zwischen den beiden entwickelt sich eine besondere Beziehung, die auf die Probe gestellt wird, als sie quer durch die Hölle bis zu Beelzebuls eigenem Bereich vordringen und dort feststellen müssen, dass dieser eine ganz neue Berufsauffassung an den Tag legt ...


Leseprobe:

Kapitel 7 Hitze und Wüstenei

Als bestünde die Leitplanke aus brüchigem Styropor gab sie einfach nach. Klappernd und krachend hielt die schwere Limousine auf den bewachsenen Anhang zu, mähte Büsche und junge Bäume nieder. Verbissen klammerte ich mich am Steuer fest. Solange ich nicht losließ und das Fahrwerk die Unebenheiten mitmachte, solange würde das Auto auf der Spur bleiben. Nach wenigen Augenblicken änderte sich die Landschaft auf erstaunliche Weise.
Im gleichen Maße, wie die Büsche zur Seite wischen, begann der Himmel aufzuhellen und Flecken lichter Bläue zu zeigen. Nicht dass die Landschaft an etwas erinnerte, was ich jenseits der Befestigung erwartet hätte. Vielmehr begann sie in eine mit dünnem Geröll bedeckte Wüste überzugehen, aus deren Ebene in losen Abständen kugelförmige Berge und dürre Bäume aufragten. Die Autobahn hatte aufgehört zu existieren. Selbst wenn ich einen Blick spähend in den Rückspiegel warf, um mich zu vergewissern, dass ich gerade einen Grüngürtel durchquert hatte, konnte ich nichts ausmachen, was nur auf seine Nähe hinwies.
„Das ist der richtige Weg!“
„Bist du dir sicher?“ Wie von selbst war mir die vertrauliche Silbe „du“ von den Lippen geschlüpft.
„Diese Wüste ist ohne Bestand. Du musst immer geradeaus fahren!“
Grell flammte die Sonne vom makellosen Himmel, sodass ich gezwungen war, die Sichtblende herunterzuklappen. Die Klimaanlage hielt das Innere des Wagens auf angenehmer Temperatur. „Was ist, wenn wir liegen bleiben?“
„Bitte fahr immer weiter geradeaus!“
„Zum Teufel damit!“, rief ich beherzt aus. „Wie soll ich verdursten, wenn ich bereits gestorben bin? Wie sieht es mit ... dir aus?“
„Nun, ich wüsste nicht, was mir die Konvention einer Wüste anhaben sollte.“
Während meine Hände das rüttelnde Lenkrad umklammert hielten, wagte ich einen Seitenblick in seine Richtung. Etwas in mir warnte mich, seine Zuversicht für bare Münze zu nehmen.
Je länger ich geradewegs auf das scheinbare Zentrum dieser verlassenen, sonnenversenkten Wüste zusteuerte, desto unebener wurde das Gelände. Das Fahrwerk der Limousine war ohne Zweifel nicht dazu ausgelegt, so schwieriges Gelände zu meistern. Trotzdem war ich weit entfernt davon aufzugeben. Erst als die Wüste die Züge sandverwehter, steiler Felskuppen anzunehmen begann, wurde mir klar, dass es unmöglich war, die Reise länger im Auto fortzusetzen. Vergeblich quälte sich der Motor auf steilen Steigungen. Steine spritzten unter den Reifen weg, ohne dass es möglich war, weiter voranzukommen.
Plötzlich riss er die Handbremse hoch, der Wagen geriet so heftig ins Schleudern, dass ich vor Entsetzen die Bremse durchtrat und damit den Motor abwürgte. Stille breitete sich aus.
„Wir müssen jetzt zu Fuß den Weg fortsetzen.“
„Ist das dein Ernst, Anthravar?“ Ich beobachtete, wie eine Staubwolke sich langsam auf die Mo-torhaube abzusenken begann. „Du könntest doch die Limousine in einen Jeep verwandeln. Oder reichen dazu deine Fähigkeiten nicht ...“ Die letzten Worte versiegten in einem sehr verunsicherten Gestammel.
„Du bist beachtlich weit gekommen, Natascha. Doch ich fürchte, selbst ein Jeep kann nur hier nicht mehr viel nützen. Wir sind nun auf uns selbst angewiesen.“ Mit diesen Worten stieß er den Schlag auf.
Ich folgte nur wenig später auf zittrigen Beinen. Kaum hatte ich die angenehme Kühle des Wageninneren verlassen, traf mich die Hitze wie der trockene Schlag einer Faust. „Das sieht nicht sehr gut aus“, stellte ich gedämpft fest. „Mit meiner Kondition ist es nicht zum Besten bestellt.“
Als ich langsam den Kopf drehte, um mich von dem Schatten in meiner Nähe zu überzeugen, zuckte ich zusammen. Eine gewaltige Gestalt mit leicht durchscheinenden, öligen Hautflügeln erwiderte meinen Blick aus geblendet zusammengekniffenen Augen. Hörner, so gewaltig wie ein Widdergehörn, schraubten sich in mehreren Windungen an den Seiten seines kantigen, glänzen-den Schädels. Er schien die Zähne leicht gebleckt zu haben - wie ein Tier, das in die Sonne blinzelte. Trotz der Hitze überkam mich in diesem Augenblick ein eisiger Schauder.
„Ich fürchte, ich werde dir diesen Anblick jetzt nicht länger ersparen können“, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sie wirkten so dunkel und stumpf wie Graphitstifte.
„Wir sollten alles an Wasser mitnehmen, was wir haben. Vielleicht hast du noch eine Decke oder Plane im Auto, die man unter Umständen dazu nutzen könnte, sich darunter vor der Sonnenglut zu schützen.“
Die ausladende Gestalt drehte sich ab, sodass ihre gewaltigen, leicht abgespreizten Flügel Sonnensegeln glichen. Allein ihre intensive dunkle Färbung bereitete mir körperliche Schmerzen. Ohne sich die Anstrengung der Hitze anmerken zu lassen, beugte sich die Kreatur über den Kof-ferraum und förderte eine Kiste zutage. Dann schien sie zu stutzen.
„Eine Decke gibt es leider nicht.“ Vorsichtig stellte er vor meinen Augen die Kiste auf den Bo-den. Dann begann er mit langsamen, nachdenklichen Bewegungen, den wadenlangen Mantel aufzuknüpfen. Was darunter zum Vorschein kam, war nicht unbedingt geeignet, meine angespannten Nerven zu beruhigen. „Nimm dieses Kleidungsstück“, sagte Anthravar nur.
Fasziniert starrte ich über seine Handgebärde hinweg auf das Spiel seiner deutlich definierten Muskulatur, die Regungen der Sehnen und aufliegenden Adern, die wie Bänder seine Hand- und Fußgelände umliefen. Seine Haut glich geschmolzenem und zu Stein erstarrtem Bitumen.
„Er ist schwarz!“, hauchte ich überwältigt von Sprachlosigkeit.
„Zieh ihn über“, erwiderte die Kreatur überaus nachdrücklich, „er ist das Einzige, was dich im Augenblick vor dieser Sonnenglut zu schützen vermag.“
Mit bebenden Fingern nahm ich das verstörende, öligschwarze Ledergebilde aus seinen ausgestreckten Klauen und fuhr fort, ihn hilflos anzustarren. Sein Anblick quälte mich; trotzdem war ich unfähig, die Augen nur einen Lidschlag abzuwenden. Es kostete mich ungeheuere Überwindung, das pechartige Material zu berühren und mit eckigen Bewegungen seinem Wunsch zu entsprechen. Weniger Abscheu als absolutes Befremden drohte meinen Verstand zu lähmen. Wie durch mehrere Meter dicke Watteschichten meiner Betäubung spürte ich das schwere, aber nicht unerträgliche Gewicht auf meinen Schultern. Die ungeheure Anspannung wich einem kaum weniger verstörenden Gefühl von Nähe und Sicherheit. Ich wusste instinktiv, dass dieses überaus fremdartige Kleidungsstück in der Lage war, mich vor den feindlichen Einflüssen dieses Urbilds einer Wüste zu beschirmen.
„Gehen wir“, empfahl mir Anthravar in ruhigem Ton.
Noch immer unter den Nachwirkungen dieses unbeschreibbaren Erlebnisses, betasteten meine Hände die Kragenaufschläge des Mantels. „Kennst du den Weg?“, flüsterte ich fast lautlos.
„Nicht genau“, gab mein Begleiter zu, „seine Gestalt könnte sich bei jeder Begegnung wandeln.“ Ich beobachtete, wie er den Kasten auf seine pechschwarze, wie gemeißelt wirkende Schulter hob und sich entschlossen in Bewegung setzte.
„Gehört dieser Ort nicht mehr in deinen unmittelbaren Einflussbereich?“
„Nein“, die Gestalt schüttelte das massive Gehörn, „hier vermischen sich die Sphären.“
So wenig ich eine Erklärung dafür zu finden vermochte, so zuverlässig schien mich der Umhang, wie eine Bleischürze vor schwerer Strahlung, vor der Sonnenglut zu schützen. Obgleich es auch jetzt noch fast unerträglich heiß war, fühlte ich, dass ich der Wüstenhitze so einige Stunden Aktivität abtrotzen konnte. „Sollten wir nicht besser die andere Richtung wählen?“
„Du hast sie ausgewählt, deshalb ist sie gut“, entgegnete das riesige Wesen. Gegen die Helligkeit dieser Sonne wirkten selbst seine Glutaugen beinahe düster.
Ohne innezuhalten, überquerten wir eine Felsenkuppe, dann eine zweite. Manchmal erwies sich der Weg als so steil, dass ich mich auf allen Vieren bewegen musste, um nicht den Halt zu verlieren. Dann versuchte ich die Handballen mit dem Material des Mantels zu bedecken, um nicht mit bloßer Haut das glühende Gestein berühren zu müssen. Die spitzen Krallen meines dämonischen Begleiters schienen, obwohl er sich mit der Kiste abmühen musste, bei jedem Schritt sicheren Halt zu finden. Nur zögerlich trat mir zu Bewusstsein, dass sich die Sonne, die hoch am Himmel flirrte und waberte, keinen Fingerbreit von ihrem Platz bewegt hatte. Am liebsten hätte ich schon jetzt um eine Pause gebeten. Aus Scham, ihm schon jetzt meine Schwäche vorführen zu müssen, zwang ich mich mit zusammengebissenen Zähnen weiter.
„Ich glaube, dort drüben befindet sich der Eingang.“
Benommen war ich stehen geblieben, um in Richtung seiner ausgestreckten Fingerkralle die Augen kreisen zu lassen. Doch ich vermochte nichts weiteres zu erkennen, als scharfe Felskanten, große und kleine, mit Schatten und Licht durchsetzte Klüfte, über denen die Luft flimmerte. „Es tut mir leid, ich kann nichts erkennen.“
„Warum hast du mich nicht schon eher darauf aufmerksam gemacht?“
Verständnislos wandte ich den Kopf in seine Richtung. „Ich ... ich verstehe nicht.“
„Du bist vollkommen erschöpft. Du solltest unbedingt etwas ausruhen, um wieder zu Kräften zu kommen.“
„Ach, lass nur, am besten achtest du gar nicht auf mich.“
Mit wenigen Schritten hatte mich die dunkle Gestalt eingeholt und packte mich mit geradezu brüsker Geste am Arm. „Du irrst“, erklärten die bitumenartigen Lippen, „ganz im Gegenteil: Es ist sogar meine Aufgabe, dich zu beschützen. Bitte setz dich hin.“
Wankend, aber gehorsam ging ich in die Knie. Ich war mir nicht sicher, ob ich noch mal imstande war, mich zu erheben, ohne dass mein Kreislauf gänzlich den Dienst quittierte. Leises Knirschen verriet, dass sich das Wesen neben mir ebenfalls auf die Schenkel heruntergelassen hatte. Ich glaubte, den Schatten seiner ausladenden Flügel im Nacken zu spüren.
„Hier“, er reichte mir eine Flasche, „trink etwas.“
Nachdem ich meinen Durst gestillt hatte, reichte ich ihm die Flasche zurück. Erst jetzt machte er Anstalten, seine eigene trockene Kehle zu befeuchten.
„Es strengt auch dich an, nicht wahr?“
Die Kreatur neigte die Ohröffnung in meine Richtung. „Etwas.“ Ihre Flügel flappten, als sie mit den Schultern zuckte. „Sieh! Jetzt kannst du die Spalte deutlich erkennen. Es ist der Durchlass zu einer anderen Ebene.“
„Du meinst diese schmale Kluft?“ Ich versuchte, aus seinem Fingerzeig schlau zu werden.
„Ja“, antwortete er einfach.
Eine sachte Berührung ließ mich zusammenzucken. Als ich mich scheu umwandte, stellte ich fest, dass seine Hand sehr leicht trotz ihres fast brutalen Äußeren auf meiner Schulter lag. Was sollte ich von dieser Annäherungsgeste halten?
„Hast du eine Vorstellung davon, was uns dahinter erwartet, Anthravar?“
„Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Belials Welt handelt.“
„Genauer kannst selbst du es nicht bestimmen?“ Ich versuchte, den sachten Druck auf meine Schulter zu ignorieren.
„Ich fürchte, nein. Es ist in diesen Gefilden unmöglich, auf kürzestem oder direktem Wege ans Ziel zu kommen. Wir werden Belials Welt durchqueren müssen, wenn du Jan wiedersehen möchtest.“
„Was wird mich dort erwarten?“ Ich konnte nicht verhindern, dass meine Zähne in Erwartung gestaltlosen Grauens gegeneinander tickten. Der Name Belial war mir von zurückliegenden Bibelstudien eines Interesses halber durchaus geläufig.
„Ich werde dich begleiten“, entgegnete er nur. „Mehr kann ich dir nicht anbieten.“
Eine Weile starrte ich angestrengt vor mich hin, bis der vermeintliche Ausschnitt mir vor Augen zu verschwimmen begann. Kaum hatte ich einen Versuch gemacht, mich aus der Hocke zu erheben, fühlte ich, dass meine Beine im gleichen Moment, wie sich farbige Flecke über meine Augen legten, nachgaben. Eine trockene, kraftvolle Berührung zog mich mit kurzem Schwung auf die Füße. Erschrocken wurde ich gewahr, dass Anthravars Klauen meine Hand umschlossen: voll-kommen anders und doch so ähnlich wie in der Situation, als wir uns im Casanova darauf einigten, unsere Zusammenarbeit fortzusetzen. Erst spät entwand ich mich seinem Griff.
„Mein Blutdruck ist ... war immer ziemlich niedrig. Bei Hitze neigt er manchmal dazu, völlig schlappzumachen.“
„Glaubst du, du bist bereit, weiterzugehen?“
„Ich werde es zumindest versuchen. Ich vermute, dass dieser Belial ein ziemlich unangenehmer Bursche ist, wenn man ihm begegnet. Er wird sicher ziemlich ungehalten reagieren, wenn unerwartet gleich zwei Eindringlinge in seinem Gebiet auftauchen.“
„Lass das meine Sorge sein.“
„Ich bin das Überbleibsel eines menschlichen Wesens. Er könnte Interesse daran haben, mich in seine Gewalt zu bekommen.“
„Bevor es dazu kommt, müsste er sich erst einmal mit mir auseinandersetzen. Solange du nicht von meiner Seite weichst, kann nichts passieren.“
„Meine Einwände müssen in deinen Ohren ziemlich töricht und kleinmütig klingen. Ich versuche mir nur vorzustellen, welche Beweggründe ein Wesen hat, das einen so gewalttätigen Namen wie Belial trägt, unsere Durchreise zu behindern. Irgendetwas sagt mir, dass er von Natur keine Neigung dazu hat, mit dir zusammenzuarbeiten.“
„Nein, das Gegenteil kann man nicht unbedingt behaupten. Im Allgemeinen teilen die Sphären nur ein gemeinsames Interesse: nämlich Einfluss auf möglichst viele verdammte Seelen zu gewinnen, auch diejenigen, die ihnen nicht fest zugeteilt wurden. Weitere Einzelheiten darf und kann ich dir nicht mitteilen.“
„Selbst untereinander stehen die einzelnen Höllen unter Konkurrenz. Wenn ich es so recht betrachte, unterscheidet sich das nicht sonderlich von dem Konkurrenzgebaren mancher Großkonzerne. Ich glaube, ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, was mich jenseits dieser Spalte erwarten wird. Vermutlich ist es auch besser so. Jan wäre nicht damit gedient, wenn ich es schon gleich zu Anfang mit der Angst zu tun bekommen würde.“
„Es steht dir frei, jederzeit frei, umzukehren.“ Die feurigen Augen betrachteten mich ernst und eindringlich. „Das sollst du wissen, Natascha.“
„Nein, das kommt nicht in Frage, nicht zu diesem frühen Zeitpunkt, da ich noch nicht einmal weiß, was sich hinter den sogenannten Höllenmächten verbirgt.“
„An Mut scheint es dir nicht zu mangeln.“
Obgleich die Entfernung aus der Luftlinie betrachtet nicht groß wirkte, schien sich der weitere Weg um so mehr zu dehnen. Anfänglich gelang es mir recht leicht, mit Anthravar schritt zu halten, wenn wir auf allen Vieren durch unwegsames Gelände krochen. Aber schon bald drohten mir die Kräfte zu schwinden und ich immer weiter zurückzufallen. Trotz des Mantels brannte mir die Hitze in den Lungen, sodass mir jeder Atemzug zur Qual wurde. Der lange, weite Umhang erschwerte zusätzlich meine Bewegungen. Trotzdem ahnte ich nur allzu genau, dass ich mein Schicksal besiegeln würde, sobald ich mich dessen entledigte. Gesteinsschutt und nackter Felsen wechselten sich in scheinbar willkürlicher Folge ab. Lediglich zu dem Zweck geschaffen, ein Fortkommen zu behindern. Zum wiederholten Mal innerhalb weniger Minuten geriet ich ins Straucheln, dass ich einem Sturz nur noch mit Mühe abfangen konnte.
Atemlos hockte ich zwischen kochenden Steinen und blickte aus gequälten Augen zu dem düsteren Riesen hoch, der mich mit nachsichtigen Augen betrachtete, aber keinerlei Anstalten machte, mir beim Aufstehen behilflich zu sein. Wie gerne hätte ich ihn darum gebeten. Warum war ich denn so darauf versessen, aus eigener Kraft voranzukommen? Nur um ihm zu beweisen, dass ich kein zerbrechliches menschliches Wesen war und eigentlich gar nicht auf seine Hilfe angewiesen war? Meine Füße waren beinahe so schwer wie der Fels, der mein Vorankommen behinderte.
„Anthravar?“ Geduldig blickte der Geflügelte zu mir herunter. „Ich ... ich ...“, hilflos brach ich ab. Noch einmal versuchte ich, alle Willenskraft zusammenzunehmen, um mich aus eigener Kraft zu erheben. Stolpernd machte ich einige Schritte vorwärts. Kaum hatte ich ihn erreicht, drohte mir das Verlangen, mich einfach in den Staub fallen zu lassen, den letzten Rest an Selbstbeherrschung aufzuweichen. Da ich in meiner Verzweiflung weder aus noch ein wusste, wusste ich mir nicht anders zu helfen, als mich mit ganzem Gewicht an seinen Arm zu klammern.
„Anthravar“, flüsterte ich fast unhörbar nahe seines Ohrs, „du musst mich schon vorwärtsziehen, wenn ich weitergehen soll.“ Einen winzigen Moment gab ich der bleiernen Erschöpfung nach, indem ich meinen Kopf an seine muskulöse, adernüberzogene Brust lehnte. Noch nicht einmal sein abstoßendes Äußeres war in diesem Augenblick imstande, mich aus dieser Nähe herauszuschlagen.
„Das ist schon in Ordnung. Stütz dich auf meinen Arm. Wir werden es bald geschafft haben.“ Während er so mit mir in einem Tonfall unendlicher Geduld sprach, den nur ein Vater einem klei-nen Kind gegenüber aufzubringen vermochte, war ich bereit, seinen Durchhalteparolen Glauben zu schenken. Mit seiner Hilfe fiel es mir schon erheblich leichter, Geröllfelder voll scharfer, spitzer Brocken und schroffe Klippen zu überwinden.
In der Spalte, die Anthravar als erster ausgemacht hatte, herrschte angenehme Kühle. Das machte mich stutzig.
„Können wir hier nicht ein wenig ausharren und den Puls zu annähernd vertretbaren Werten dämpfen?“ Ich machte Anstalten, den schweren Ledermantel abzustreifen.
„Um alle Teufel dieser Hölle“, wisperte der Dämon, „mögen Hitze und Kälte noch so groß sein: In so großer Nähe zu einem Übergang darfst du niemals diesen Mantel ablegen. Solange du ihn trägst, bist du für die Bewohner der meisten Welten praktisch unsichtbar. Betrachte ihn als ein Schutzschild oder eine Tarnkappe. Verstehst du, was ich dir damit sagen will?“
„Du hast dich klar und deutlich ausgedrückt, Anthravar.“
Nachdem wir etwas getrunken und ein wenig zähes Brot verzehrt hatten, schien sich mein Puls soweit wieder normalisiert zu haben, dass gemäßigtes Atmen möglich war. Obgleich ein Begleiter nichts davon hatte verlauten lassen, war mir klar, dass wir in Zukunft noch mehr auf unsere Vorräte Acht geben mussten. Er legte eine schartige Graphitfarbene Kralle an die Lippen, als ich mich zögernd in Bewegung setzen wollte.
„Die Temperaturen können sich hier schlagartig ändern. Sei dir dessen bewusst.“ Mit diesen Worten stieß er mich behutsam auf das Innere der Spalte zu.

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Impressum:

GdN #51 ist ein nichtkommerzielles Fanzine des TCE (Terranischer Club EdeN).
GdN #51 ist im Dezember 2005 erschienen.
Umfang: 92 Seiten - Auflage: 40 Exemplare - Einzelpreis: 3,70 € plus 1,10 € Versand
Text und Illustrationen: Christiane Lieke

Geschichten der Nacht erscheinen in der Regel vierteljährlich;
ein Abo über 4 Ausgaben ist zum Preis von 16 € erhältlich.

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Letztes Update dieser Seite am 15.12.2005