Geschichten der Nacht # 61

Ein Fantasy-Roman
mit phantastischen Zügen

"Die Geburt
des Onyxdrachen "

von
Christiane Lieke
("Wintermute")

Rundumtitelbild & Illustration:
Norbert Schneider
Layout:
Christiane Lieke

Juni   2009

Cover GdN 61 - (c) Rundumtitelbild und Innenillustrationen: Norbert Schneider

Als der Expeditionstrupp des Arminius auf das Lager der Drachenkönigin trifft, ahnt er nicht, wie nahe die Welt am Abgrund steht. Mirja, der einzig überlebenden Kriegerin, gelingt es, mit Hilfe des Fremdweltlers Otomo die Bestie zu besiegen. Doch der Preis dafür ist sein eigener Tod.

Mirjas Sehnsucht nach dem Fremden ist so groß, dass sie bereit ist, den letzten Schritt zu tun.

Sie erwacht in neuer Gestalt und hat die äußersten Grenzen des Kreislaufes des Lebens kennen gelernt. Wird sie den Geliebten jemals wiedersehen?


Leseprobe:

In dieser Nacht fiel mir das Atmen schwerer denn je. Daher fand ich erst spät den ersehnten Schlaf unter den dürren Zweigen einer knorrigen Kiefer. In der Ferne ertönte der schaurige Ruf eines Käuzchen: die letzte Wahrnehmung, die sich in meine Träume herüberrettete. Von einem Herzschlag auf den anderen, so übergangslos, dass alles Erlebte wie ein absurder Traum erschien, fand ich mich an der Seite meines Waffenbruders auf dem Schlachtfeld wieder. Wenige Dutzend Schritte von unserem Versteck entfernt, drang die Königin der Onyxungeheuer in ihrer wilden Raserei in die Ruinen des Lagers ein. Immerzu warf sie ihren gewaltigen, aufrechten Körper mit dem ausladenden Schädel voran gegen das Hindernis. Dabei stieß die rasende Bestie unablässig hohe schrille Schreie aus, die sich tief in das Rückenmark jedes lebendigen Wesens fraßen, bis es schließlich den Verstand daran verlor. Sie hatte die Witterung von etwas Lebendigem aufgenommen. Geblendet von der Finsternis, die sie war, wusste sie jedoch nicht, wie sie daran gelangen sollte. Krachend und kreischend barsten die hölzernen Pfeiler und begruben alles, was darin war, unter ihrem nachgebenden Gewicht. Die ungeheure Größe der Onyxkönigin verlieh ihr schier unvorstellbare Kräfte – ein so fürchterlicher Gegner, dass ihm niemand, selbst kein göttlicher Besucher, gewachsen war. Nur eine List konnte sie bezwingen. Da ich kleiner und leichter als mein Mitstreiter war, fiel die Wahl auf mich.
Wortlos löste ich den Riemen von meinem Helm und setzte ihn sorgsam zu Boden. Der klare Blick seiner sonderbaren mandelförmigen Augen schien meine Absicht sofort zu durch-schauen. Wir verständigten uns allein durch Blicke, ehe ich, das Schwert an meine Seite ge-gürtet, von unten her aus dem toten Winkel auf das tobende Biest zurannte. In diesem Moment füllte mich unerschütterliche Ruhe aus. Ich sah nichts anderes vor Augen als die Züge meines grenzenlos verwegenen, aber nicht unmöglichen Plans. Blind vor Wut bemerkte die Onyxdrachenkönigin von meinem aberwitzigen Vorhaben nichts. Behände sprang ich an ihren mit Knochendornen bewehrten Fersen hoch und machte mich daran, wie ein Bergsteiger ihre mächtigen Schenkel zu erklimmen. Die ruckartigen Bewegungen ihrer Muskeln erforderten alle Konzentration, damit sie mich nicht von meinem lebendigen Berg schleuderten. Die zwar glatte, metallische Haut war voller Zapfen und Widerhaken, so dass ich keine Mühe hatte, mich weiter hinaufzuziehen. Sie hielt noch nicht einmal inne, um nach der Ursache des sonderbaren Kitzelns zu forschen.
Über ihren ausladenden Hüftschild hinweg, erreichte ich das äußere Skelett ihrer Wirbelsäule mit ihren dornigen Wirbelkörpern. Ihre gekrümmte Haltung öffnete sie wie ein Spalier, so dass ich keine Mühe hatte, mich mit Händen und Füßen darin festzukrallen und mich behutsam hochzuarbeiten. Dutzend Schritte unter mir erbebte die Erde unter ihren maßlos wütenden, stampfenden Tritten. Über mir entfaltete sich wie ein verästelter Baldachin ein ungeheurer knöcherner Nackenschild, in den ihr schmaler glänzender Kopf auslief. Allein der Anblick ihrer schrecklichen, vollkommenen Schönheit hätte genügen können, ein denkendes und fühlendes Wesen in den Wahnsinn zu treiben. Einige Augenblicke lang hielten meine gespannten Schenkel mein Gewicht in schwankender Höhe. Mit zusammengebissenen Zähnen zog ich so lautlos wie möglich den Stahl meines Schwertes blank. In diesem Augenblick vollführte der Schädel über mir eine scharfe Bewegung nur knapp über meinen ungeschützten Kopf hinweg! Mit letzter Kraft gelang es mir, mich mit Oberarmen und Kinn an den zackigen Wirbelfortsätzen festzuhalten, ohne das Schwert dabei zu verlieren.
Außer sich vor Wut fuhr das Ungeheuer herum, ohne sein Zerstörungswerk vollendet zu haben. Diesen Moment der Verwirrung nutzte ich, um mich in den Vertiefungen aufzurichten und den Schwertarm zu heben. Als sich der Stahl zwischen diesen Knochenfortsätzen tief in das Fleisch senkte, warf der Onyxdrache den Kopf in den Nacken und brüllte mark-erschütternd vor Verwunderung und glühendem Schmerz. Seine gewaltigen Krallen zuckten hoch, um den jäh realisierten Quälgeist abzuschütteln. Mit beiden Händen klammerte ich mich am Griffstück der Waffe fest, um nicht durch ihre wilden, ruckhaften Bewegungen von meinem schwankenden Halt geschleudert zu werden. Der Drache brüllte und kreischte in Todesnot; aber es gelang ihm noch immer, sich auf den Beinen zu halten.
In diesem Augenblick sprang Utomo aus seiner Deckung und drang, das Chakra-Eisen schlagbereit in der erhobenen Hand, auf die schreckliche Gegnerin zu. Todesmutig näherte er sich, ungedeckt in ihrem Blickfeld, bis auf wenige Schritte an, um zum vernichtenden Wurf auszuholen. In ihrer Verwirrung und Qual warf die Bestie ihren gewaltigen Nackenschild umher, als könnte sie so die Quelle ihres plötzlichen Schmerzes von sich schleudern. Ihr peitschendes Schwanzende pflügte den verdörrten Boden und wirbelte Staubschwaden und Holzsplitter in die Höhe.
„Utomo!“, brüllte ich von meinem luftigen Ausguck herab. „Utomo, gib auf die Schwanz-keule acht!“
Statt auf meine Worte zu hören, sammelte er völlig konzentriert die Kräfte zum Schlag. Fassungslos beobachtete ich das glitzernde Rad auf seiner schwirrenden Flugbahn. Es war, als zerdehnte ein Zauber die wenigen Lidschläge, die dieser Flug dauerte, zu langen Minuten. In dem Augenblick, als das Chakra nahe des ersten Halswirbels unter dem langen, ge-schwungenen Knochenschild in das zuckende Fleisch drang, wurde ich Zeuge, wie der schwarze gezackte Bogen des Schweifes den Kämpfer von den Füßen warf. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass er mehrere Schritt weit nach hinten geschleudert wurde, ehe er Kopf voran in den Staub fiel. Eine Fontäne hellen, ätzenden Blutes ergoss sich über die trockene Erde. Die Bewegungen des Ungeheuers verlangsamten sich, sie wurden unsicher, fast tastend. Wie von selbst löste sich die entsetzliche Starre von mir.
Außer mir vor Wut, Rachedurst und Verzweiflung, gelang mir der Kraftakt, das Schwert aus der Wunde zu ziehen, um es wieder und immer wieder in den zuckenden, taumelnden Körper zu stoßen. In ihrer weißglühenden Agonie brach die gewaltige Kreatur in die Knie; ihre Klauen versuchten vergeblich, Ströme schwefelig gelben Blutes zurückzuhalten, die aus der zerstörten Halsschlagader hervorsprudelten. Da das Schwert zum wertvollsten Besitz eines Söldners gehörte, zog ich es heraus, ehe ich erste Gedanken an den eigenen, einigermaßen gefahrlosen Abstieg verlor. Die wenigen Meter, die mich noch vom Boden trennten, überwand ich springend. In Ihrer Todesangst hatte die Onyxkönigin weder Augen für ihren Peiniger noch für den leblosen Körper des Gefährten. Mehr kriechend als aufrecht, lenkte ihr Instinkt sie auf eine der Schluchten zu, die die Urkraft einer Explosion in das gemarterte Erd-reich gerissen hatte. Mit letzter Kraft erreichte ich auf den Knien den Liegenden. Utomos A-tem war so schwach, dass ich ihn kaum spürte.
„Utomo! Utomo!“ Alarmiert schob ich meine linke Hand unter seinen Hinterkopf, während meine rechte in wahnsinniger Angst über seine Wange strich. „Die Bestie ist besiegt! Hörst du! Sie hat sich ihre letzte Ruhestätte selbst gegraben! Utomo, dies ist unser Sieg!“
Anstatt zu antworten, brachte er ein schwaches Röcheln hervor. Angstvoll beugte ich mich über ihn, so dass meine Wange seine berührte. Irgendetwas tief in meinem Inneren erinnerte sich daran, dass ich diese grauenvolle Situation schon einmal durchlebt hatte. Ich durfte ihn nicht noch einmal verlieren. Tränen grenzenloser Verzweiflung drohten meinen Blick zu brechen, während meine Lippen nach seinem Mund tasteten. Diesmal fürchtete ich mich nicht mehr vor den eindrucksvollen Hauern, die sein Gesicht in eine uneinnehmbare Festung verwandelten. Wenn ich ihn ganz fest hielt, konnte die Schicksalsmacht ihm nicht mehr die Seele entreißen.
„Du kannst es nicht abwenden“, flüsterte Utomos Stimme nahe meinem Ohr. Sie klang klar und gefasst. „Es ist bereits geschehen.“
Keinen Herzschlag später fuhr ich schweiß- und tränenbedeckt von meinem Ruhekissen hoch und fuchtelte mit meiner Waffe hilflos in der Finsternis. Tief hing der Mond in den verkrümmten Zweigen der Kiefer und strafte meine vergeblichen Bemühungen mit höhnischem Schweigen. Schluchzend setzte ich mich ganz auf und lehnte mein Gesicht an die harte, raue Borke. Die Lanze in meiner Hand war ein vollendetes Werkzeug des Todes. Als der Häupt-ling sie mir überließ, wollte er mir einen Weg weisen. Selbst unter diesem Volk unerbittlicher kampferprobter Jäger und Recken war Gnade kein hehres Wort: Dies erkannte ich plötzlich mit kristallklarer Deutlichkeit.


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Impressum:

GdN 61 ist ein nichtkommerzielles Fanzine des TCE (Terranischer Club EdeN).
GdN 61 erscheint im Juni 2009.
Umfang: 84 Seiten - Auflage: 51 Exemplare - Einzelpreis: 3,50 € plus 1,20 € Versand
Text: Monika Abt / Illustration:Norbert Schneider

Geschichten der Nacht erscheinen in der Regel vierteljährlich;
ein Abo über 4 Ausgaben ist zum Preis von 16 € erhältlich.

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Letztes Update dieser Seite am 23.07.2009