Grey Edition # 11

 

Alexandra Trinley:

"Grenzgänge "

 

(Geschichten und Gedichte)

(ausverkauft)

Cover Grey Edition #11 - (c) Lothar Bauer

Vorwort:

Meine Grenzgänge beschreiben Übergänge, Kippsituationen, Sprünge in der Wirklichkeit. Mehrere ernst, viele verspielt. Die meisten gehören zur Phantastik, ein paar zeichnen schräge Situationen nach, die dem Leben entstammen. Manche haben literarische Texte als Grundlage.

Fast alle Texte wurzeln im Galaktischen Forum (s.u.).
Als ich 2013 mit dem Schreiben anfing, bat ich dort um Stichworte, aus denen ich eine Geschichte machen konnte: einfach ein Name, ein Ort, ein Ding, irgendwas. Elemente, die nicht zusammenpassen.
Damals hatte ich freundliche Gegenleser im Forum, die mir viel weiterhalfen. Die Ideengeber sind eingebaut, ihre Namen stecken irgendwo mit drin.

»Der Napoleonhut« entstand, als ein Forist mit dänischem Nick sich einen Napoleonhut wünschte – aus dem Nachschlagen des Forennamens entstand das Personal der Geschichte. »Die Wahrheitsfee" entstand aus dem beiläufig geäußerten Wunsch nach Politikern, die die Wahrheit sagen, und einem schlechten Tag. Der Ideengeber für Hans Zahn fängt mit hz an.
»Yoga mit Kafka« geht auf Urlaubserlebnisse eines Kafka- und Pratchett-Fans zurück. Er schrieb sie mir, und ich kombinierte sie mit Auszügen aus Kafka-Romanen mit ein bisschen Pratchett drin. »Ende der Eitelkeit. An Gryphius« entstammt einem Schulprojekt zum Barock. Das Goethebuch im »Totentanz« ist kein Zufall. »Der mysteriöse Chamäleongeist« war ursprünglich ein aus den durchgenommen Fremdwörtern zusammengestelltes Rechtschreibdiktat und wurde die Vorlage für »Tante Agathe, oder: Die Winterreise«.
»Grenzgänger« ist der Vorläufer an sich: Mit dieser Geschichte fing ich 2013 das Schreiben wieder an. Natürlich ist sie überarbeitet, gelernt hab' ich dann doch was in diesen drei Jahren.

Die Geschichten entstammen einer Zeit, in der ich mich zwar, wie es meinem Schwerpunkt bei der Phantastik entspricht, mit durchlässiger Wirklichkeit beschäftigte, aber noch nicht daran ging, fiktionale Wirklichkeit im Sinn einer Handlung zu entwickeln. Die meisten Texte sind szenenhaft, und der zwanghafte Versuch, mehr Handlung einzubauen, würde sie zerstören.
Später begann ich meinen Blog »Blätterflug Gedankenschnuppen« und fragte dazu eine vertraute Mitforistin, was mich ausmacht. Sie meinte, grenzenlose Neugierde und der Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Tatsächlich ist vieles ein Ausloten: von Gemütszuständen, von unbekannten Dingen wie den Fitnessgeräten in »Fitness hoch 3 -4u«, von unbekannten Settings wie der Heimat der Mäzenin in »Heimkino«. Immer dem Spieltrieb nach und den Untiefen.

Meine Suche nach Menschen, mit denen ich an längeren Texten experimentieren konnte, führte mich zum TCE, dann zu DORGON. Von den dortigen Graphikern erklärte sich Lothar Bauer bereit, mein fast dreißig Jahre altes Aquarell einer bunten Erdmeerfrau, die geheimnisvoll mit der aus dem See wachsenden Blume verbunden ist, in ein Titelblatt umzuwandeln. Darüber war ich froh, denn seine Bilder gefielen mir von allen am besten. Die Nachbildung ist ihm gelungen, das Bild hat genau denselben Ausdruck und ist noch dazu besser.
Meinem Mann fielen beim Betrachten folgende Liedzeilen eines tibetischen Volkslieds ein:

Ngai tschungdä dugpa

Schöne meiner Jugend

Tragri ngülkar melong

dem Spiegelbild des silberweißen Felsenbergs gleichend

Sempa thar na ma thog

mein Geist kann dich erreichen

lüpa thar sa ma re

mein Körper kann es nicht.

Alexandra Trinley, September 2016

Hinweis:

Die hier veröffentlichten Texte sind im Perry Rhodan Forum (früher Galaktisches Forum) entstanden. In der Form von damals stehen sie auch heute noch dort; zeitgleich wurden sie auch auf cc-zeitlos eingestellt. Für die Veröffentlichung auf ihrem Blog BLÄTTERFLUGGEDANKENSCHNUPPEN hat Alexandra Trinley sie überarbeitet. In dieser Form erscheinen sie jetzt zum ersten Mal in einem "wunderschönen Layout" (d. Autorin z. Redakteur) als Printveröffentlichung beim TCE. "Dass man sie durch den Druck jetzt auch in der Hand halten und verschenken kann (d. Autorin).


Leseprobe:

Übelst gelaufen

Fußpilz.
Die reine Plage. Es juckt und drückt.
Du willst den unbedingt loswerden. Aber wie?
Egal was du tust, das geht nicht. Keine Behandlung wirkt. Da kann man nichts machen.
Noch dazu ist es kalt und der Hund muss Gassi.
Missmutig schlappst du den Gehweg entlang, dem Hund hinterher, der sich pausenlos kratzt. Da fällt dir die gelbe Flaumfeder auf, die gemeinsam mit einem schmierigen Zettel an einem abgekauten Kaugummirest in der Bordsteinritze klebt.
Da steht was drauf.
Der Hund zieht an der Leine, nasser Regen beginnt, doch du beugst dich ächzend runter und pflückst den Fetzen. Es ist die Annonce eines indianischen Geistheilers, der drei Straßen weiter wohnt. Geistheiler! Schamane! Schwache Hoffnung erhellt deine Seele wie das Glimmen einen angerissenen Streichholzes im Gemeinschaftsklo einer Hochhaussiedlung. Da musst du hin.

Als du vor dem morschen Lattenzaun stehst, in dessen Pfosten Reste von Stacheldraht stecken, jault der Hund auf und winselt. Du lässt dich nicht beirren. Die Leere des Grundstücks schlägt dich in ihren Bann. Zumal der Vorhang sich zu bewegen scheint wie von unsichtbarem Wind.
Du stößt das Tor auf, ziehst den fiependen Köter hinein und bindest ihn an dem einäugigen Gartenzwerg fest, dessen Picke fest im Boden steckt.
Dann gehst du zur Tür.
Keine Klingel, kein Schild.
Eine pelzige Raupe hangelt den blätternden Putz entlang. Graue Spinnweben wehen über dem Türstock aus dürrem, ausgetrocknetem Holz. Ausgebleichte Farbmasse sträubt sich. Staub klebt in den Spalten.
Die Tür ist verschlossen.
Dein Klopfen hallt wie an einer Gruft und echot hohl im Inneren wider.

Und schon knarzt die Tür einen Spalt weit auf.
Du spürst, dass du vor dem Geheimnis stehst, das deine Qualen beseitigt.
Gleich ist es soweit.
Jetzt.
»Ähm – wohnt hier der Geistheiler?«, stotterst du.
Ein röchelnder Atemzug scheint zu bejahen.
»Ähm – ich habe einen Fußpilz, der nicht weggeht, und da wollte ich fragen ...« Deine Stimme verliert sich, und du verstummst.
Eine knorrige, ausgedörrte Hand schiebt sich aus dem schmalen Dunkel und hält die Tür einen Spalt weit offen.
»Moneten!" röchelt es heiser, und endlich weißt du, was du zu tun hast.
Zitternd vor Hast reißt du dein Portemonnaie aus der Tasche, um es auszuräumen und alles Geld dem Dunkel des Innenraums entgegenzuhalten.
Die Krallenhand streckt sich vor, du legst alles hinein, dreckige, verwachsene Fingernägel schließen sich um deine Barschaft.

Die Tür geht weiter auf.
Ein alter, stoppelbärtiger Mann mit aufgeschwemmten Tränensäcken, Federschmuck und modrigem bunten Umhang stiert dich an, mustert dich von oben bis unten. Ein schiefer Blick aus dem entzündeten Augenwinkel, ein weiterer auf den Hund, eine grau belegte Zunge fährt über dürre Lippen. Und mit einem knappen Nicken tritt er beiseite.
Es stinkt.
Hinten am Ende des Ganges leuchtet schwacher Phosphorschein. Die Dielen knarren bei jedem Schritt wie die ausgetrockneten Rippen eines Skeletts in Death Valley.
Die Knochenkette klappert. Ein Scharnier quietscht. Der Atem des Schamanen rasselt wie Skorpione.
Die Tür klappt ins Schloss.
Noch ein Schritt.
Die Dielen senken sich und geben nach, geben den Raum darunter frei.
Kahle Erdwände, Ketten, Klapperschlangen und Totenschädel.
Wie eine Gruft.
»Mein Geld«, schreit es in dir auf, und du beginnst zu denken.
Zu spät.
Ein Schlachtermesser blitzt auf.
Und mit deinem Geiz bist du auch deinen Fußpilz los.


Impressum:

Grey Edition 11
"Grenzgänge"
ist ein nichtkommerzielles Fanzine des TCE (Terranischer Club EdeN).
Grey Edition 11 erscheint am 12. November 2016.
DIN A5-Broschüre, Umfang: 84 Seiten; Auflage: 100 Exemplare
Preis: 3,50 €  plus Versand
© Cover: Lothar Bauer

In unserem Online-Shop könnt Ihr das Fanzine direkt bestellen.
Oder auch per E-Mail an tceorder@terranischer-club-eden.com


zurück zu den Fanzine-Inhalten

Letztes Update dieser Seite am 08.10.2018.