Kontor

Bücher sind Schiffe, welche die weiten Meere der Zeit durcheilen. (Francis Bacon)

[13] Wollust, Wunder und Verhängnis

Grey Edition Nr. 13

Uwe Lammers

(Erotische Geschichten aus anderen Welten Band 2)


Grey Edition 13 erschien im September 2019.
DIN A5-Broschüre, Umfang: 144 Seiten
Preis: 6,50 EUR zzgl. Versandkosten
© Cover: Norbert Schneider
Innenillustrationen: Norbert Schneider

Preis: 6,50 €

Beschreibung

Wie schon in Grey Edition 12 »Lustvoller Schrecken« mischen sich in den drei hier enthaltenen Geschichten Erotik und Phantastik auf ebenso sinnlich-wollüstige wie bisweilen unheimlich-schaurige Weise ineinander.
Auf 144 Seiten wird von Neuem gezeigt, dass diese Melange faszinierende Facetten besitzt.
Der Titel selbst zielt auf die zentralen Kerngedanken der drei Geschichten.

  • „Das Portrait einer Lady“ führt den Leser unter die glühende Sonne des Arcturus und in die Vorzeit eines versunkenen Volkes, das nicht völlig tot ist …
  • In „Mission im Leben“ reißt ein Verbrechen die verwundbare Seele eines New Yorker Polizisten ein – und dann geschieht etwas ebenso Unheimliches wie Wunderbares …
  • „Everstons Traum“ zeigt uns einen geradezu biblischen Erstkontakt mit einer unfassbar fremden und doch so vertrauten Lebensform. Und doch hat er grenzenloses Entsetzen im Gefolge …

Uwe Lammers, September 2019


Leseprobe:

Mission im Leben

David Shenk fragte sich, warum ausgerechnet zu Silvester so viele Leute verrecken mussten. Und dann auch noch am späten Nachmittag und Abend während seiner Schicht. Das war doch echt nicht in Ordnung. Konnten die denn nicht im Sommer sterben? Aber nein, keiner hielt sich daran. Seine Meinung kümmerte ja eh niemanden, den Tod schon überhaupt nicht …
Der Kugelschreiber kratzte penetrant laut über das Papier des Formulars. Gott, das dauerte ja ewig mit dem Ausfüllen. Jeder Kratzlaut schmirgelte Shenks Nerven mehr ab. Er würde sich freuen, wenn diese Trottel wieder verschwunden waren. Das einzig Positive an den Leichen war, dass sie mucksmäuschenstill waren, absolute Musterschüler zum Ende ihres Lebens. Kein anderer hatte so viel Anstand.
Shenk kam etwas um den Tisch herum und hob das weiße Laken hoch, umeinen Blick auf die leblose Gestalt zu erhaschen, auch wenn er wusste, dass er das besser nicht tun sollte – er konnte den Anblick von bisweilen grässlich zugerichteten Leichen echt nicht ausstehen. Danach würde er sich dann schnellstens wieder in sein Magazin vertiefen und mit den heißen Hochglanzrundungen nackter und vor allen Dingen lebendiger Schönheiten ablenken, die sich in frivolen Posen seinen Blicken darboten. Die Mädel kümmerte es nicht, wer ihre hinreißenden, blanken Leiber anstarrte. Für Shenk war das ein nicht eben geringer Trost.
Unter dem Laken erwartete ihn diesmal allerdings eine bestürzende Überraschung.
Als er den Kopf der Leiche erblickte, spürte er unwillkürlich etwas in seiner Hose, so verrückt das klang. Vor ihm glänzte im flackernden Kunstlicht der Neonröhren das schmale Gesicht eines Mädchens, einer jungen Frau, wohl Mischlingskind. Die Gesichtshaut wirkte, obwohl schon etwas grau angelaufen von der durchdringenden Kraft des erbarmungslosen Todesgriffs, doch noch deutlich hellbraun. In den Mundwinkeln der Toten hingen noch eingetrocknete, schwarze Rinnsale, und das dicht anliegende krause schwarze Haar wirkte fast wie ein dick gepolsterter Helm. Das Kinn war dem Mädchen auf die Brust gesunken, der Kopf ein wenig zur Seite gesunken. Die Lippen standen etwas offen.
Beinahe sah sie aus, als schliefe sie nur.
Das war natürlich Blödsinn. Die Kleine war so tot, wie es nur ging. Hier wurden keine Scheintoten angeschleppt – so viel stand jedenfalls fest.
Verdammt, selbst im Tod war das Mädel noch eine echte Augenweide. Fast konnte sich David Shenk vorstellen, wie sinnlich und lebhaft sie noch vor wenigen Stunden gewesen sein musste, als sie lebend durch die Straßen von New York schlenderte, weit entfernt von diesem grausigen, finalen Ort, an dem sie nun gelandet war. Manche der Hochglanzschönheiten in den Magazinen, die Shenk goutierte, waren ihr durchaus ähnlich …
Der Arzt, den er mit Mike angeredet hatte, zerrte ihm schnaubend das Laken aus der Hand und deckte die Tote wieder zu. Als würde ihn die Pietät in irgendeiner Weise scheren – dabei sah er jede Nacht genug übel zugerichtete Leichen, und Pietät war sicherlich das Allerletzte, das er empfand. Knurrend gab er mit Verspätung Antwort auf Shenks vorherige Frage. »Also ja, wenn du’s unbedingt wissen willst, die Kleine wurde von einem Freier abgestochen!«
David Shenk schluckte, überspielte innere Betroffenheit, die sich komischerweise rührte, dann aber mit Schnoddrigkeit. Und wieder mal kamen die falschen Worte aus seinem Scheißmaul: »Na, dann habt ihr nachher weniger Schwierigkeiten, wenn ihr das nachvollzieht.«
Er hätte sich gleich darauf am liebsten den Mund zugeklebt, aber da war es natürlich schon zu spät. Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Wortlos schoben die beiden die tote Prostituierte in die Leichenhalle hinein, wo sich schon zahlreiche andere Rolltische befanden. Auch die Kühlfächer waren schon vollkommen belegt. Es war eine kalte Nacht in New York City, diese Nacht. Und dabei war es erst 20 Uhr am Silvesterabend. Es würde noch viel schlimmer werden. Shenk wusste das von früheren Silvesternächten zur Genüge, in denen er diese Schicht hier gehabt hatte. Er arbeitete jetzt schon das vierte Jahr hier, und dies war die dritte Silvesterschicht, die er absolvierte.
David Shenk nahm sich das ausgefüllte Formular, das die rudimentären biografischen Daten der Toten enthielt. Bei vielen blieben diese Formularfelder anfangs frei, weil sie anonym eingeliefert wurden, Opfer von Raubmorden etwa. Aber die junge Hure, die keineswegs älter als 25 gewesen sein konnte, hatte wohl zumindest noch die Personalpapiere bei sich gehabt.
»Cindy Bernstein«, murmelte Shenk, als die sichtbar angesäuerten beiden Ärzte den nüchternen und etwas heruntergekommenen Vorraum der kalten, sterilen Leichenhalle wieder verlassen hatten, in dem Shenk zurückblieb. Seltsam versonnen ließ er sich auf seinen stumpfsinnigen Verwaltungsposten zurücksinken und legte das Blatt in die dafür vorgesehene Formularablage. Erst am Ende seiner Schicht, wenn die letzte Leiche für heute eingetroffen war, würde er seine Sammelliste zusammenstellen und das Formular dann in den entsprechenden letzten Ordner dieses Jahres einheften. Er wusste, das konnte noch dauern..

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