Kontor

Bücher sind Schiffe, welche die weiten Meere der Zeit durcheilen. (Francis Bacon)

[01] Der Sklave des Königs

Herr der Meere Nr. 1

K.H. Scheer (Pierre de Chalon)

1. Ausgabe der überarbeitete Neuauflage
Originalausgabe: Leihbuch, Balowa Verlag, 1956
Herausgeber: Kurt Kobler
Titelbild: Ralph Voltz
Redaktion: Joachim Kutzner, TCE
Durchsicht und Bearbeitung des Textes: Michael Thiesen
Kartenmaterial und Innenillustrationen: Willi Diwo
Scan des Originaltextes: Hans-Peter Kögler
Druck: Schaltungsdienst Lange OHG, Berlin
Umfang: 128 Seiten
Preis: 10 EUR
Terranischer Club EdeN, Juni 2009

Preis: 10,00 €

Beschreibung

Diese in den 50er Jahren noch sehr verbreitete Gattung der Literatur handelte meist von kühnen Piraten, die mit ihren Schiffen die tollsten Abenteuer erlebten. Gedruckt wurden diese Abenteuer in verschiedenen Leihbuch-Verlagen, die damals ihre Blütezeit erlebten.

KHS hatte bereits 1953 in einer ersten Leihbuch-Piratenserie Erfahrungen in dieser Art der Unterhaltungsliteratur gesammelt und setzte sie nun in einer eigenen Romanreihe um.
Anders als bei »König der Meere« (erschienen im Reihenbuch Verlag) war bei der »Heer der Meere«-Serie des BALOWA VERLAGS das Pseudonym kein Verlags-, sondern ein Autoren-Pseudonym, unter dem nur Scheer selbst schrieb.

Die ersten sechs »Herr der Meere«-Romane erschienen von 1983-85 als Jugendbücher beim ENGELBERT VERLAG in einer von seiner Frau Heidrun Scheer leicht überarbeiteten Neuauflage.

Für diese Neuauflage der HERR DER MEERE-Serie bekamen wir zunächst von Frau Scheer die Erlaubnis für den Nachdruck der ENGELBERT-Jugendbuch-Ausgabe. Kleinere Fehler, die sich in diese Ausgaben offensichtlich eingeschlichen haben, sind von uns ausgebessert.

Jetzt im Jahr 2009 setzt die MARIA STUART also nochmals die Segel, und Scheers tollkühne Piraten sind bereit, sich den Lesern des neuen Jahrtausends zu stellen.
Dem Science-Fiction Club »Terranischer Club EdeN« (TCE) ist dank der sehr großzügigen Geste von Frau Heidrun Scheer die Ehre und die Möglichkeit zuteil geworden, sogar die komplette »Herr der Meere«-Reihe neu herauszugeben, also auch die restlichen Bände 7-9.
Scheer wollte seine Leser mitnehmen. Wer bereit war, ihm zu folgen, war bald gefangen von seiner erzählerischen Dynamik und den kraftvollen Beschreibungen.

Und so möchte ich Euch bitten, mit an Bord zu kommen – auf eine Reise in eine Zeit, in der Männer noch aus Eisen und Schiffe noch aus Holz waren.

Kurt Kobler, Mai 2009
[Aus dem Vorwort des ersten Buches dieser Neuauflage]


Das TCE-Mitglied Martin Marheineke hat sich das ehrgeizige Projekt vorgenommen, die „Herr-der-Meere“-Serie fortzuführen, da am Ende von Band 9 Fragen offen blieben.
Der Titel ist „Geheimauftrag MARIA STUART“.


Leseprobe:

André war sich darüber im Klaren, dass die SUSSEX mit zahlreichen Breitseiten das Heck der CHRISTOBAL zu zerschmettern beabsichtigte. Die Kugeln mussten das Schiff der Länge nach durchpflügen und grauenhafte Vernichtung säen. Die eigenen Batterien würden nicht mehr zum Schuss kommen können, da sie nur seitlich feuern konnten. Durch die schmalen Stückpforten war der seitliche Schusswinkel der spanischen Kanonen ohnehin begrenzt. Tief unten im Schiff herrschte unter den siebenhundert Sklaven, die vorher niemals einen Kanonenschuss gehört hatten, größte Verwirrung und Verzweiflung. Sie schrien ihre Angst laut heraus und zerrten an den Ketten.
Die Wachen waren inzwischen verschwunden. Keiner der Schwarzen würde sich befreien können, da sie alle mit eisernen Schellen am Hals und an den Handgelenken gefesselt waren. Dicht gedrängt lagen sie auf dem Orlopdeck, das sich tief unter der Wasserlinie befand. Wenn hier ein Treffer einschlug, waren sie alle dem Tod preisgegeben.
Louis Renard hatte inzwischen das Orlopdeck erreicht. Er stieg den Niedergang herunter und eilte durch den schmalen Gang, der nach vorn zum Kabelgatt führte. Dort lag dicht vor dem Bug der Raum, in dem Taue aller Art auf-bewahrt wurden. Dort befanden sich auch die beiden Franzosen, die er auf Andrés Anweisung heraufholen sollte.
Der Bretone verabscheute den Sklavenhandel. Obgleich er seine Gegner gnadenlos bekämpfte, konnte er andererseits einem Wehrlosen kein Leid zu-fügen.
Das galt auch für den Kapitän des Dreimasters, den sie vor zwei Wochen ge-kapert und nach Übernahme der wertvollen Ladung versenkt hatten. Dieser Mann nötigte ihm Hochachtung ab. Er hatte anständig gekämpft, und dieses Verhalten wurde sogar unter den wildesten Piraten der Karibischen See anerkannt und geschätzt.
Mit zwei Pistolenschüssen zertrümmerte Renard das Schloss der Tür. Die Wachen hatten sich auch hier längst zurückgezogen.
Nachdem der Hüne ruckartig die Tür geöffnet hatte, starrte er schweigend auf die beiden gefesselten Männer im Kielraum.
Eine Öllampe, die trübes Licht verbreitete, schaukelte über den Köpfen der Franzosen, deren Beine im stinkenden Bilgenwasser hingen.
Respektvoll blieb der Bretone stehen und musterte den herkulisch gebauten Mann. Der etwa dreißig Jahre alte französische Kapitän mit dem blonden, im Nacken zusammengebundenen Haar war fast so groß wie Renard. Sein Gesicht wirkte etwas zu hart, um es schön nennen zu können. Er besaß durchdringende hellblaue Augen unter einer hohen Stirn.
Bei dem zweiten Gefangenen handelte es sich um den Steuermann. Der Ge-sichtsausdruck des hochgewachsenen und überaus hageren Mannes war un-bewegt.
Der Kapitän zeigte keine Unruhe, obwohl er als erfahrener Seemann wissen musste, was dicht über ihm vorging. Das Rollen der Batteriegeschütze und das Einschlagen der feindlichen Kugeln waren nicht zu überhören.
»Nun, Bretone«, sagte er gefasst in einwandfreiem Französisch, »was starrst du mich an? Ist dein Kapitän diesmal an einen Gegner geraten, mit dem er nicht so leicht fertig wird wie mit der kleinen Besatzung meines Schiffes?«
Louis horchte erstaunt auf.
»Ihr seid kein Franzose, Herr«, stellte er sachlich fest. »Wie könnt Ihr also wissen, dass ich Bretone bin? Wir haben uns nur gesehen, als Ihr mir meinen Entersäbel aus der Faust geschlagen habt. Wer seid Ihr, Herr?«
Der Kapitän schaute ihn prüfend an.
»Du hast Recht, Bretone«, entgegnete er verbindlich, »ich bin kein Franzose, obgleich ich Kommandant eines französischen Schiffes war. Ich bin Deutscher, ein Brandenburger, wenn dir das etwas sagt, und heiße Reinhardt Gonder. Trotzdem beherrsche ich die französische Sprache so gut, um an deinem Dialekt feststellen zu können, dass du in der Bretagne geboren wurdest. Mein Steuermann ist aber Franzose. Sein Name lautet Armand Guleau. Nun verrate mir, was du von uns willst!«
Aufmerksam beobachtete er Renard, dessen Gesicht sich zu einer Grimasse verzog. Gonder ließ sich keine Gefühlsregung anmerken.
»Es ist gut, Herr. Mir macht es nichts aus, ob Ihr Franzose oder Brandenburger seid. Ich bewundere Euch, und an Bord gibt es noch einen Mann, der das auch tut. Er forderte mich auf, Euch und Euren Steuermann sofort zu be-freien, sobald der Engländer angriffe.«
Reinhardt Gonder sah gespannt auf.
»Was ist geschehen? Sprich bitte.«
In kurzen Worten erklärte Renard die näheren Umstände.
»Das bedeutet Krieg zwischen Spanien und England, mein starker Freund. Weißt du das?«, stellte Gonder sachlich fest. »Der englische Kommandant würde es sonst niemals wagen, ein spanisches Schiff dicht vor der Küste von Puerto Rico anzugreifen.«
Der Bretone sah ihn bewundernd an. Er erkannte, dass der Brandenburger nicht nur über herkulische Kräfte verfügte, sondern auch einen scharfen Verstand besaß.
Renard nickte nur und schlug dann mit einem Enterbeil auf das Schloss der Kette ein, von der die Handschellen gehalten wurden.
Armand Guleau hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Nun grinste er ver-halten und meinte: »Dieser Mensch hat Kräfte wie zehn Stiere. Seht nur, Herr, wie er auf das Schloss einschlägt.«
In Gonder tobte eine starke Erregung. Das war seine Chance, den Fängen des Sklavenhalters zu entkommen. Er wusste, dass ihn Curnaca meistbietend auf dem nächsten Sklavenmarkt verkauft hätte.
Der Brandenburger lauschte auf die Schreie der Sklaven, presste die Lippen zusammen und bemühte sich, nicht an das Leid dieser Menschen zu denken.
Endlich zerbarst das Schloss unter den Hieben des Hünen. Ruckartig zog Gonder die lange Kette aus den Halteösen der Handschellen und sprang auf.
»Ich danke dir, Freund«, sagte er und hielt dem Franzosen die Hand hin, die Renard verlegen ergriff.
»Sprecht nicht so, Herr, ich bin in Eurer Schuld. Doch nun kommt mit nach oben. Wir werden uns nach Kräften wehren müssen, wenn uns der Engländer nicht besiegen soll. Oder ist es Euch recht, wenn er Euch befreit? Dann bleibt hier und wartet ab.«
Gonder lachte auf.
»Mein Freund, erwähne nicht die Engländer! Von den Londoner Gerichten bin ich längst zur lebenslänglichen Sklaverei in Westindien verurteilt worden. Lasst uns gehen! Wie heißt du eigentlich, mein Freund?«
»Louis Renard«, antwortete der Bretone.

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