S C I E N C E   # 56

... aus Raumfahrt,  Wissenschaft und Forschung


SOJUS - und was dann?

Mit KLIPPER in ein neues Raumfahrtzeitalter

von Joe "the Nighthawk" Kutzner

 

Im letzten Para-SCIENCE-Artikel habe ich von neuen russischen Plänen, den Mars betreffend, berichtet.
Auch in dieser Ausgabe geht es um Russland. Ausgewählt habe ich ein Thema, welches, wenn es denn realisiert wird, und die Chancen dafür stehen gut, ein neues Raumfahrtzeitalter einläuten wird: Vor kurzem sind in russischen Fachmagazinen konkrete Pläne für einen Nachfolger der nun schon über 40 Jahre im Dienst befindlichen SOJUS-Raumschiffsgeneration veröffentlicht worden.
Irgendwie klingt es auch hier wieder nach einem "Wettlauf", nach der russischen Antwort auf die amerikanische Herausforderung.

Erinnern wir uns, im Jan. 04 stellte Mr. Bush die neuen Weltraumpläne der USA vor:

  • Fertigstellung der ISS bis 2010
  • Stilllegung der Shuttle-Flotte bis 2010
  • Ausstieg aus dem ISS-Programm, Rückkehr zum Mond bis 2020
  • Aufbruch zum Mars - frühestens 2030
  • Entwicklung eines universell einsetzbaren Raumschiffs (Crew Exploration Vehicle - CEV) - bis 2014

Wenn diese Zeitpläne eingehalten werden - erfahrungsgemäß wird das nicht der Fall sein, werden sich sogar Verzögerungen ergeben - werden die USA über mindestens 4 Jahre (2010 - 2014) KEIN Raumfahrzeug besitzen, mit dem sie Menschen ins All befördern können! Was man sich kaum vorstellen kann, aber so ist der aktuelle Stand. Der Austausch der ISS-Crews und deren Versorgung wird dann ausschließlich den Russen (Sojus, Progress) und Europäern (Ariane 5, Jules Verne-Transporter) obliegen.

Vor diesem Hintergrund offenbarte der Chef von Rosaviakosmos, Juri Koptew, im Februar die Pläne für das Projekt "Klipper" auf einer Pressekonferenz. Bereits seit der Jahrtausendwende arbeitet der russische Raumfahrtkonzern RKK Energija an einer neuen Raumschiffsbaureihe, die für den Transport von bis zu sechs Personen ausgelegt wird. Das würde eine Verdoppelung der Kapazität der Sojus-Raumschiffe bedeuten, die seit 1967 ihren Dienst im All tun. Koptew behauptete sogar, in etwa fünf Jahren, also 2009/10, würde das neue Raumschiff einsatzreif sein. Damit ergäbe sich ein nahtloser Übergang zu der Lücke, die dann durch den Wegfall der US-Shuttles entstünde.

In Fachkreisen schlug diese Meldung wie eine Bombe ein und Insidergerüchten zufolge soll G.W.B. "not amused" gewesen sein, dies zu hören.


Schauen wir uns also das neue Raumschiff einmal etwas genauer an, denn es enthält einige sehr überraschende Momente für die Leser unserer Dokumentation "Der verlorene Traum":

Klipper - der mögliche SOJUS-Nachfolger als russisches Raumschiff - Quelle: Flugrevue

Die Grafik beweist, dass sich Klipper äußerlich als Synthese aus einem Sojus-Raumschiff und einem Buran-Raumtransporter darstellt. Es wäre sehr tröstlich für all die Menschen, die am Bau des russischen Shuttles beteiligt waren, der dann nur ein einziges Mal ins All flog und der Perestroika zum Opfer fiel, wenn sie sähen, dass ihre Arbeit nicht umsonst war und hier Verwendung fände!

Technische Daten:

Wie alle Sojus-Raumschiffe wird Klipper aus drei Einheiten bestehen:
den beiden - für bis zu 25 Flüge - wiederverwendbaren (Bug-)Kommando- und (Mitte-)Wohnmodulen und dem hinteren Steuer-/Antriebs-/Enerversorgungsmodul.
Seine Länge - 10m - übertrifft die von Sojus um 3 Meter.
Natürlich wird er auch deutlich schwerer werden (Startmasse 14,5 Tonnen), um sechs Personen transportieren zu können.
Wie bei Sojus gibt es hier auch zwei Pilotensitze, aber statt einem gleich vier Passagierplätze (nach ganz neuen, bisher offiziell noch nicht bestätigten Gerüchten sogar sieben).
Neu sind die, im Vergleich zu den jetzigen beinharten Konturensitzen, bequemeren Sessel wie bei den US-Shuttles.
Der "Kofferraum" reicht für 700kg Gepäck. Klipper kann selbständig bis zu 200 Tagen im All bleiben, was für einen Flug zum Mars und zurück reichen würde.


Die folgende Grafik zeigt Klipper in die Nutzlaststufe der Trägerrakete eingebettet und nun verspreche ich euch eine weitere Sensation:

Risszeichnung der ONEGA-Trägerrakete für KLIPPER-Raumschiff


Risszeichnung der ONEGA-Trägerrakete für die KLIPPER-Raumschiff-Serie


Der aktuelle Sojus-FG- noch der im Bau befindliche Sojus-2-Booster sind als Trägerrakete zu schwach, um eines der neuen Raumschiffe ins All zu transportieren. Also muss eine neue Trägerrakete her und auch für die, Onega genannte Baureihe, gibt es solch konkrete Pläne, dass ein Einsatz für 2007 anvisiert ist.
Es handelt sich dabei um einen modernisierte Version der Jamal/Aurora-Trägerreihe. Als Haupttriebwerk (1. Stufe) sollen die von Nikolai Kusnezow für die sowjetische Mondrakete N1 entwickelten NK-33-Triebwerke - überarbeitet - zum Einsatz kommen!!!

Das ist nun wirklich mutig, denn bekanntlich endeten alle vier Startversuche der N1 fehl (mehr dazu auf www.mondwettlauf.terranischer-club-eden.com).
Die komplexe Ansteuerung der über 30 Einzeltriebwerke im Block war damals jeweils die Ursache für den Fehlstart. Die Steuerungselektronik ist in den letzten dreißig Jahren mit Meilenstiefeln vorangeschritten und so gibt es berechtigte Hoffnung, dass ONEGA eine glücklichere Zukunft als der N1beschienen ist.
Starten könnten Onega-Träger von den bereits existierenden Rampen in Baikonur und Plesetzk, was die Kosten erheblich senken würde.

Die Entwicklungskosten für Onega und Klipper zusammen betragen 9 - 10 Mrd. Rubel (= 300 Mio. €), eine vergleichsweise wirklich überschaubare Summe. Dennoch wird es nicht einfach für RKK Energija werden, das Geld aufzubringen, und so ist man mit dem für Europa attraktiven Vorschlag an die ESA herangetreten, ein System zu bauen, dass auch bemannte Starts vom Raumhafen Kourou ermögliche.

Würde sich die Europäische Raumfahrtagentur darauf einlassen, wäre dies ein weiterer Schritt zur Annäherung von Europa und Russland auf dem Weg zu einer gemeinsamen zukünftigen Raumfahrt. Und vielleicht wäre dies auch politisch ein Schritt zur nicht unrealistischen Eingliederung Russlands in die EU.

Einer Verwirklichung des Klipper-Onega-Projektes stehen weniger finanzielle als politische Hürden im Weg. Auf beiden Seiten müssen die Verantwortlichen eine entsprechende Umverteilung der Mittel in Richtung der Entwicklung der bemannten Raumfahrt wollen! Bisher ist dieser Wille nicht unbedingt zu erkennen, leider.

Im ESA-Rat, vertreten durch Bundesforschungsministerin Bulmahn, hatte 2001 ausgerechnet Deutschland seine Teilnahme an Aurora, dem künftigen (auch bemannten) Raumfahrtprogramm zur Erforschung des Sonnensystems, verweigert.


Und in Russland ist die Raumfahrt seit Anfang März durch ein Dekret von Präsident Putin wieder voll in militärischer Hand. Generaloberst Anatoli Perminow wurde zum Chef der neuen Föderalen Raumfahrtagentur (FKA) ernannt. Die bisherige zivile Luft- und Raumfahrtbehörde Rosaviakosmos wurde aufgelöst (!), während die Luftfahrt ab sofort der ebenfalls neu gegründeten Föderalen Agentur für Industrie (FAP) untersteht. Perminow war seit März 2001 Kommandeur der Weltraumstreitkräfte (Kosmitscheskije Wojska - KW) und hat sich bei Putin zunehmend 'verdient' gemacht. Juri Koptjew, der zwölf Jahre lang die Rosaviakosmos-Geschicke geleitet und seinen Vertrag erst im Januar verlängert hatte, ist "auf eigenen Wunsch von dieser ehrenvollen Aufgabe" (blah blah, gefeuert nennt man das) entbunden worden und zu einer Industrieagentur gewechselt.

Mit der Ernennung von Perminow zum FKA-Chef sind nun alle russischen Raumfahrt-aktivitäten unter der Kontrolle von Generälen. Nunmehr kontrolliert er alle zivilen nationalen Raumfahrtaktivitäten, die Verträge über kommerzielle Satellitenstarts und auch die Startmannschaften auf den Kosmodromen Baikonur, Plesetzk und Swobodny. Mit Sorgen hört man, dem Präsidenten schwebe ein "Großrussland" als erneut "global agierende Macht" vor.


Fazit:

Die Jahre der legendären Sojus-Raumschiffe sind sicherlich gezählt. Die Chancen für Klipper stehen gut. Immerhin hat sich Generaloberst Anatoli Perminow, der neue starke Mann an der Spitze der FKA für Klipper ausgesprochen und die Bereitschaft erklärt, gemeinsam mit den USA, Europa und China an bemannten Missionen zum Mond und zum Mars teilzunehmen. Die Entscheidung Pro oder Contra Klipper wird letztendlich im Kreml getroffen.

Quellenangabe:
Text:  Fliegerrevue 5/2004, Flugrevue 5/2004
Grafiken: Fliegerrevue 5/2004


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Letztes Update dieser Seite am 14.10.2010