Grey Edition # 6

"Mensch-wird-Maschine
-
Maschine-wird-Mensch"

G o l e m   m e e t s   B o r g

von
Künstlichen Intelligenzen
und
technisierte Menschen

Cover Grey Edition # 6 (Cover copyright bei Christiane Lieke)


Inhalt:

  • Drei Stories von Christiane Lieke:
  • "Cyberpunk" - vorgestern "Underground" - gestern SF-Mode - und morgen Realität?(Martin Marheineke)
  • Bilder von Gabi Scharf und Christiane Lieke
  • Cartoons
  • Begriffsklärung

Worum geht es eigentlich bei dieser Thematik?

In einer Beilage der COMPUTERZEITUNG vom 25.02.2002 steht zu lesen:
"Das Interesse an menschenähnlichen Schnittstellen hat das C-Lab an der Universität Paderborn zur Entwicklung eines Roboters mit Gefühl motiviert."

(Projektbezeichnung: MEXI, Machine with Emotionally eXtended Intelligence.)

MEXI -  Machine with Emotionally eXtended Intelligence Im Kern geht es wohl um eine Schnittstelle, die mit Hilfe beweglicher Elemente (Augen, Ohren, Mund) situationsgemäß die Mimik eines Menschen nachahmt und so Emotionen vortäuscht. Von echten Emotionen scheint diese Anordnung aus Plexiglas und Schaltkreisen genauso entfernt zu sein wie Spielbergs A. I. vom heutigen Stand der Informationstechnik.

Kein Grund zur Beunruhigung also, lediglich Anregung zum belustigtem Schmunzeln?

Auch wenn Brian W. Aldriss’ Story zu einer Zeit geschrieben worden ist, da gerade die ersten ICs entwickelt worden sind und die Entwicklung der IT noch nicht abzusehen war, existiert die Brisanz des Problems unterschwellig weiter.
An Universitäten rund um den Globus wird an entsprechendem "Mikro-Wissen" gearbeitet, winzige Puzzle-Steine, die zusammengenommen auf einen technologischen Quantensprung zusteuern.
Professor Christoph von der Malsburg, Leiter des Institutes für Neuroinformatik an der Ruhruniversität Bochum formuliert:
"Wir müssen die programmgesteuerte Maschine als Urbild für unsere Informationstechnologie fallen lassen und dafür organische Strukturen des Lebens adaptieren."

Dieser Forderung wird bereits nachgegangen.


Wo stehen wir tatsächlich?
Wohin werden diese Technologien führen?

In amerikanischen Labors werden auf V.R.-Plattformen digitale "Lebensformen" gezüchtet, die gemäß eines "genetischen Codes" eine eigene Evolution durchlaufen. Formgebende Verfahren mit Lasern und Kunstharzen helfen, diese simulierten Roboter als plastisches Modell nachzubauen.

Menschlicher Roboter in einer Sonderausstellung des Heinz Nixdorf Computermuseums in Paderborn

Menschlicher Roboter in einer Sonderausstellung des Heinz Nixdorf Museums

Innerhalb riesiger, über Ethernetkabel vernetzter Computernetzwerke werden Computerprogramme gezüchtet, als seien sie eine Population gleichartiger Lebewesen mit Abweichungen, die verschiedenen Lebensräume bewohnen, sich vermehren und ähnlich wie auf den Galapagos-Inseln Unterarten bilden können.
Alan Turing, einer der Pioniere der K.I.-Forschung stellte fest, dass Evolution und Genetik die Schlüssel sind um ein künstliches Bewusstsein zu schaffen. John von Neumann, dessen Rechnerkonzept in jedem simplen Mikrocomputer verwirklicht ist, hat in einer Zeit, da es noch keine Computer im eigentlichen Sinne gab, ein Konzept für eine selbstlernende, sich eigenständig verbessernde Maschine entwickelt. Von Experten wird es als so komplex eingestuft, dass es selbst mit heute zu Gebote stehenden Mitteln nicht simuliert werden kann.

Also nicht möglich?


Robotik als Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln.

Das scheint notwendig zu sein, wenn der Mensch mit dem technologischen (wissensmäßigen) Fortschritt Schritt halten will. Um 2050 scheint der Zeitpunkt erreicht, da eine technische Erweiterung des Hirns unumgänglich ist, damit es das bis dahin unendlich komplex gewordene Wissen überhaupt noch begreifen und verarbeiten kann. Mündet der technische Fortschritt automatisch darin, dass der Mensch technische Erweiterungen seiner selbst durchführen muss um sein Überleben zu sichern?

Landespräsident Clement schaut erstaunt einem Robotvirtuosen  im Heinz Nixdorf Computermuseum zu.

Ex-Landespräsident Clement schaut bei der Eröffnung der Sonderausstellung im Heinz Nixdorf Computermuseum erstaunt einem Robot"virtuosen" am Klavier zu.

Visionäre Wissenschaftler sehen hier die enormen Möglichkeiten der Nanotechnik, die auf molekularer Ebene die Zellstruktur und die Organisation des Organismus anpasst. Carlo Montenegro von der Cornell-Universität sieht dieses Ziel deutlich: "Die nahtlose Integration zwischen Maschinen und lebenden Systemen".
Eine Flut von Fragen wird aufgeworfen, eine Flut von Möglichkeiten, die nicht nur Chancen in der prothetischen Medizin sondern auch die Gefahr vollständiger Selbstentfremdung umfassen.

Es scheinen zwei Strömungen unabhängig voneinander zu existieren und sich gleichzeitig auf einen gemeinsamen Punkt zu bewegen:
Wissenschaftler, die die Schaffung eines Golems, eines künstlichen Menschen, beabsichtigen,
und andere, die die Evolution des Menschen in die Hand nehmen wollen, was angesichts der heutigen Erkenntnisse nicht mehr unmöglich zu sein scheint.

BorgDie metaphysische Betrachtungsweise bringt die Notwendigkeit dafür zu Tage.
Enthält denn nicht das evolutionäre Konzept selbst die Ablösung Gottes durch den Menschen, die Evolution der zweiten Phase, die der Mensch in die eigene Hand nimmt?
Ist der Augenblick, da künstliche Intelligenz Bewusstsein und Seele erwirbt, der Moment, da der Mensch die Seele verliert?
Handelt es sich bei der Arthritis von Klonschaf Dolly um die Folge eines Mangels im technischen Verfahren oder sind die Technologen etwa auf eine prinzipielle Grenze gestoßen, die Forscher daran hindert in Gottes Handwerk zu pfuschen?

Rabbi Löw rief im 16. Jahrhundert den Golem mit Hilfe einer grobmodellierten Lehmfigur und den geheimen Formeln der Kabbala ins Leben. Die Kaballa basiert auf einem rein linguistischen System, im Grunde genommen einem komplexen Code, der allem Seienden zugrunde liegen soll. Mit Zahlen und Formeln beschreiben Physiker wie Heisenberg und Einstein den Kosmos. Während die Transmutationen der Kaballa den düsteren Gefilden des Aberglaubens zugerechnet werden, ist der genetische Code der Schlüssel zur Vielfalt des Lebens. Und Leibniz versuchte mit Hilfe des dualen Systems (Sein und Nichtsein) die Vielfalt des Seins zu erklären; auf das binäre System setzt jede Programmiersprache auf. Nicht aus Zufall spannt sich der Bogen vom Irrationalsten zum Rationalsten. Schließlich hat die Wissenschaft lediglich bestätigt, was den metaphysikern längst bekannt war.

Bei all den technische Detailfragen, deren Komplexität vermutlich nicht nur unter Laien größte Verwirrung stiften, geht es um philosophische und zutiefst menschliche Aspekte. Jede Betrachtungsweise ist spannend und lohnend, erhellend und politisch.
Die jüngste Diskussion um den Import von Stammzellen zeigt, dass sie als politische, für die Gesellschaft von nicht mehr zu leugnender Bedeutung ist.
Alle Technologien, die zum Ziel haben den Menschen an sich oder die Gesellschaft zu verändern, appellieren an das Verantwortungsgefühl des einzelnen.


Ich bin davon überzeugt, dass es von unschätzbarer Bedeutung ist, wenn Unternehmen, Fördergesellschaften und Universitäten Projekte unterstützen, die das Machbare ausloten und ihre Forschungsergebnisse zur Diskussion stellen. Nur so kann man die Spreu vom Weizen trennen und sich ihre Impulse zu nutze machen. Aber wenn ich das begeisterte Glitzern (manchmal dem Wahnsinn auf Haaresbreite nahe) in den Augen mancher, häufig sehr junger Wissenschaftler bei ihren Erläuterungen sehe, bin ich mehr als erleichtert, dass kein einzelner von ihnen die Macht hat die Gesellschaft nach seiner Vision umzuformen. Denn diese kommt oft eher einer Horrorvision gleich, angesichts derer Dantes Inferno wie eine Erholungsoase wirkt als einer ernstzunehmenden Utopie. Letztenendes entscheidet die Allgemeinheit und mit ihr der Einzelne, also wir alle, über den Gang des Ganzen und die Entwicklung der Gesellschaft.

Christiane Wintermute Lieke


Impressum:
Grey Edition 6
Mensch-wird-Maschine, Maschine-wird-Mensch
ist ein nichtkommerzielles Fanzine des TCE (Terranischer Club EdeN).
Grey Edition 6 ist am 15.12.2002 erschienen,
Umfang: 84 Seiten; Auflage: 35 Exemplare; Preis: 3,50 €  plus Versand
© Cover: Christiane Lieke, Backcover: Gabriele Scharf

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Letztes Update dieser Seite am 20.01.2005