Grey Edition # 6
Worum geht es eigentlich bei dieser Thematik? In einer Beilage der COMPUTERZEITUNG vom 25.02.2002
steht zu lesen: Im Kern geht es wohl um eine Schnittstelle, die mit Hilfe beweglicher Elemente (Augen, Ohren, Mund) situationsgemäß die Mimik eines Menschen nachahmt und so Emotionen vortäuscht. Von echten Emotionen scheint diese Anordnung aus Plexiglas und Schaltkreisen genauso entfernt zu sein wie Spielbergs A. I. vom heutigen Stand der Informationstechnik. Kein Grund zur Beunruhigung also, lediglich Anregung zum belustigtem Schmunzeln? Auch wenn Brian W. Aldriss’ Story zu einer Zeit geschrieben
worden ist, da gerade die ersten ICs entwickelt worden sind und die
Entwicklung der IT noch nicht abzusehen war, existiert die Brisanz
des Problems unterschwellig weiter. Dieser Forderung wird bereits nachgegangen. Wo stehen wir tatsächlich? In amerikanischen Labors werden auf V.R.-Plattformen
digitale "Lebensformen" gezüchtet, die gemäß
eines "genetischen Codes" eine eigene Evolution durchlaufen.
Formgebende Verfahren mit Lasern und Kunstharzen helfen, diese simulierten
Roboter als plastisches Modell nachzubauen.
Innerhalb riesiger, über Ethernetkabel vernetzter
Computernetzwerke werden Computerprogramme gezüchtet, als seien
sie eine Population gleichartiger Lebewesen mit Abweichungen, die
verschiedenen Lebensräume bewohnen, sich vermehren und ähnlich
wie auf den Galapagos-Inseln Unterarten bilden können. Also nicht möglich? Robotik als Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln. Das scheint notwendig zu sein, wenn der Mensch mit dem
technologischen (wissensmäßigen) Fortschritt Schritt halten
will. Um 2050 scheint der Zeitpunkt erreicht, da eine technische Erweiterung
des Hirns unumgänglich ist, damit es das bis dahin unendlich
komplex gewordene Wissen überhaupt noch begreifen und verarbeiten
kann. Mündet der technische Fortschritt automatisch darin, dass
der Mensch technische Erweiterungen seiner selbst durchführen
muss um sein Überleben zu sichern?
Visionäre Wissenschaftler sehen hier die enormen
Möglichkeiten der Nanotechnik, die auf molekularer Ebene die
Zellstruktur und die Organisation des Organismus anpasst. Carlo Montenegro
von der Cornell-Universität sieht dieses Ziel deutlich: "Die
nahtlose Integration zwischen Maschinen und lebenden Systemen". Es scheinen zwei Strömungen unabhängig voneinander
zu existieren und sich gleichzeitig auf einen gemeinsamen Punkt zu
bewegen: Die
metaphysische Betrachtungsweise bringt die Notwendigkeit dafür
zu Tage. Rabbi Löw rief im 16. Jahrhundert den Golem mit Hilfe einer grobmodellierten Lehmfigur und den geheimen Formeln der Kabbala ins Leben. Die Kaballa basiert auf einem rein linguistischen System, im Grunde genommen einem komplexen Code, der allem Seienden zugrunde liegen soll. Mit Zahlen und Formeln beschreiben Physiker wie Heisenberg und Einstein den Kosmos. Während die Transmutationen der Kaballa den düsteren Gefilden des Aberglaubens zugerechnet werden, ist der genetische Code der Schlüssel zur Vielfalt des Lebens. Und Leibniz versuchte mit Hilfe des dualen Systems (Sein und Nichtsein) die Vielfalt des Seins zu erklären; auf das binäre System setzt jede Programmiersprache auf. Nicht aus Zufall spannt sich der Bogen vom Irrationalsten zum Rationalsten. Schließlich hat die Wissenschaft lediglich bestätigt, was den metaphysikern längst bekannt war. Bei all den technische Detailfragen, deren Komplexität
vermutlich nicht nur unter Laien größte Verwirrung stiften,
geht es um philosophische und zutiefst menschliche Aspekte. Jede Betrachtungsweise
ist spannend und lohnend, erhellend und politisch. Ich bin davon überzeugt, dass es von unschätzbarer Bedeutung ist, wenn Unternehmen, Fördergesellschaften und Universitäten Projekte unterstützen, die das Machbare ausloten und ihre Forschungsergebnisse zur Diskussion stellen. Nur so kann man die Spreu vom Weizen trennen und sich ihre Impulse zu nutze machen. Aber wenn ich das begeisterte Glitzern (manchmal dem Wahnsinn auf Haaresbreite nahe) in den Augen mancher, häufig sehr junger Wissenschaftler bei ihren Erläuterungen sehe, bin ich mehr als erleichtert, dass kein einzelner von ihnen die Macht hat die Gesellschaft nach seiner Vision umzuformen. Denn diese kommt oft eher einer Horrorvision gleich, angesichts derer Dantes Inferno wie eine Erholungsoase wirkt als einer ernstzunehmenden Utopie. Letztenendes entscheidet die Allgemeinheit und mit ihr der Einzelne, also wir alle, über den Gang des Ganzen und die Entwicklung der Gesellschaft. Christiane Wintermute Lieke |
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