S C I E N C E # 42

...aus Raumfahrt, Wissenschaft und Forschung

 

Eine Vision wird zum Ziel

Der billige Zugang zum Weltraum ...
mit dem ersten "Space Truck" KISTLER-1


Vorwort:

Am Ende von Kapitel 29 unserer Mondwettlauf-Dokumentation "Der verlorene Traum" (als TCE-Sonderzine erschienen) hatten Kurt und ich über das Schicksal der verbliebenen russischen N1-Mondraketen geschrieben:

"Sie erleiden ein unrühmliches Schicksal...
150 Triebwerke der Serien NK-31, NK-33, NK-39 und NK-43... werden heimlich beiseite geschafft und gelagert. Vermutlich hat ihr Konstrukteur selbst, Kusnezow, dafür gesorgt.
Nach Gluschkos Tod (1989) sind sie 1996 an zwei amerikanische Gesellschaften verkauft worden; eine davon ist KISTLER AEROSPACE. Dort arbeitet man an der ersten Stufe eines wiederverwendbaren Raumschiffes."
Toni ‚Schalmirane‘ Berger versorgte mich in den letzten Monaten regelmäßig mit Ausgaben der FLUG REVUE, einem Fachmagazin der Luftfahrt mit Ausblicken in die Raumfahrt
(Danke, Toni J !).
In der November-Ausgabe stolperte ich über einen kurzen Artikel zu KISTLER AEROSPACE und deren (Welt-)Raumtransportsystem K1.
Anlaß genug die Firma mit einem Besuch auf ihrer Homepage genauer unter die Lupe zu nehmen.
Es wurde ein längerer Besuch, der sich im nun folgenden Porträt der Firma niedergeschlagen hat.

Joe, the Nighthawk


Kein Monat vergeht in diesen Jahren, dass nicht irgendein Satellit ins All geschossen wird; die meisten von ihnen sind Kommunikationssatelliten. Die Zahl wird in der nahen Zukunft noch rapide ansteigen, dessen kann man gewiss sein. Eine Marketingstudie der TEAL-Gruppe sagt für dieses Jahrzehnt ca. 2100 Satellitenstarts voraus, davon 1300 LEO (Low Earth Orbit)!
Als Beispiel sei nur die kürzlich geschlossene ‚Hochzeit‘ des Handys mit dem Internet (Schlagwort UMTS) genannt.
Es werden kleine Satellitennetzwerke entstehen, mit denen weltumspannende Unternehmen ihre firmeneigene Kommunikation betreiben. Das US-Unternehmen GLOBALSTAR plant für seine Telefon-Kommunikation ein Netzwerk aus 48 Satelliten, das bis 2005 stehen soll.
Es werden neue Satelliten für die Mobil(Handy-)-Kommunikation, den Datentransport, die Erweiterung des Internets und des digitalen Fernsehens benötigt werden.
Die Entwicklung der Satellitentechnik verlief in den vergangenen drei Jahrzehnten in Riesenschritten; die Entwicklung der Satellitenstart-Hardware dagegen stagniert:
Bis heute werden immens teure Trägerraketen dazu benutzt Satelliten ins All zu starten... und nach dem Start bleibt nichts von ihnen übrig außer einer Menge Schrott.
Die Zeit ist reif für eine ‚low-cost‘-, wir würden wohl sagen:'ALDI'-Alternative.
Im Porträt von DAIMLER CHRYSLER AEROSPACE hatte ich über das DASA-Projekt FREGAT berichtet, eine wiederverwendbare dritte Raketenstufe, die nach der Aussetzung des Sateliten unversehrt zurück zur Erde fliegen soll.
Das Unternehmen KISTLER AEROSPACE geht in seiner Vision noch einen Schritt weiter: K-1 Trägerraketensystem

Nicht nur die Nutzlaststufe, sondern das gesamte bei KISTLER AEROSPACE in Entwicklung befindliche Trägerraketensystem K-1 soll mehrfach verwendet werden können!

KISTLER AEROSPACE steht mit diesem Konzept (noch) alleine in der Welt. Selbstbewußt erklärt Robert Wang, Vorsitzender des Aufsichtsrates:
"KISTLER AEROSPACE möchte eine Revolution in Gang setzen, die der Erfindung der Transportsysteme im letzten Jahrhundert gleichzusetzen ist: Kommerzielle Aktivitäten im nahen Weltraum um die Erde sollen so selbstverständlich werden, wie es heute Flüge durch die Erdatmosphäre sind."

Das K-1–System soll in Zukunft auch zum Konkurrenten des in Science #33 vorgestellten ATV-Transporters erwachsen und für die Internationale Raumstation ISS ein billiges "Speditions"-Transportmittel darstellen.
Walter Kistler, FirmengründerKISTLER AEROSPACE hat unter seinem Dach anerkannte Organisatoren, Manager, Konstrukteure, Ingenieure... versammelt. Sie haben sich bei erfolgreichen US-Weltraumprogrammen wie REDSTONE, MERCURY, GEMINI, APOLLO, SKYLAB, SPACE SHUTTLE und ISS einen Namen gemacht. Vertragspartner von KISTLER AEROSPACE für den Bau der Hardware und die Softwareprogrammierung sind z.B. Firmen mit klangvollen Namen wie LOCKHEED MARTIN (u.a. Brennstofftank) oder NORTHROP GRUMMAN (u.a. Nutzlast-Modul).    

 


Und damit will ich zu den technischen Details kommen:
KISTLER K-1
stellt eine zweistufige Trägerrakete dar; beide Stufen sind zu 100% wiederverwendbar.
(Diesen Begriff benutze ich noch, da er jedem von Euch geläufig ist, obwohl er eigentlich nicht mehr zutreffend für dieses Transportsystem ist.)

links NK-43-, rechts das kleinere NK-33-TriebwerkDie Gesamthöhe beträgt 37 Meter, der Durchmesser beläuft sich auf 6,70 m, die Rakete wiegt ohne Nutzlast mit vollen Tanks beim Start rund 380 Tonnen. Davon entfallen auf die erste Stufe rd. 250 Tonnen, auf die zweite Stufe rund 130 Tonnen.
In beiden Stufen werden russische NK-Triebwerke benutzt, die sich KISTLER AEROSPACE während der Verschrottung der verbliebenen russischen Mondraketen-Hardware in einer spektakulären Aktion mit der Unterstützung ihres Erfinders, des legendären Triebwerksingenieurs Nikolai Kusnezow, gesichert hatte.

 


Die 1. Stufe (LAP = Launch Assist Platform)
ist mit drei NK-33-Triebwerken ausgestattet, die jetzt das interne Kürzel Aerojet/AJ26-58 -59 erhalten haben. Sie waren ursprünglich für die erste Stufe der russischen Mondrakete N 1 gebaut worden.
Die Maschinen wurden mit elektronischen Kontroll-, Zündungs- und Schubvektorkontrollsystemen auf US-Standard modernisiert. Der Gesamt-Startschub beträgt 4540 kN. Nur die zentral angeordnete AJ26-59-Einheit wird von LAP nach dem Abtrennen von der zweiten Stufe als Rückkehrtriebwerk eingesetzt.
Die 6 Fallschirme, mit denen die erste Stufe nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre sanft gen Boden fallen soll, bedecken eine Fläche von mehr als sechs Fußballfeldern. Mit dem ersten erfolgreichen Test hält KISTLER den Weltrekord in dieser ‚Disziplin‘.


Die 2. Stufe (OV = Orbital Vehicle) ist mit einem NK-43-Triebwerk (Aerojet/AJ26-60) bestückt, vormals für die zweite N1-Stufe gebaut; der Schub im Vakuum beträgt 1760 kN.
Nach der Abtrennung von der LAP zündet die zweite Stufe für 230 Sekunden, um die Nutzlaststufe auf eine Erdumlaufbahn zu bringen. Kleine zusätzliche Drehmanöver-Triebwerke korrigieren später und wenden die Stufe nach dem Aussetzen der Nutzlast.
Die Stufe kehrt nun zurück zu ihrem Startplatz. 3 Fallschirme und vier Airbags sorgen für eine weiche Landung auf dem Erdboden.

Beide Stufen werden mit der bewährten (nicht gerade umweltfreundlichen) Brennstoffkombination O2 flüssig / Kerosin betrieben.
Beide Stufen sind vollständig autonom; der Datenaustausch mit der Bodenkontrollstation erfolgt über ein TRDSS-Satellitensystem und wird mit der NASA abgesprochen.


Das Nutzlast-Modul:

Für unterschiedliche Aufträge gibt es zwei Varianten des, die K-1 an der Spitze abschließende Nutzlast - Moduls:
Das 3,20 m hohe Standard Payload Module (SPM) bietet Platz für z.B. einen Satelliten, das um 2,40 m höhere Extended Payload Module (EPM) kann zwei Satelliten aufnehmen. Zum Aussetzen der Nutzlast öffnen beide Module einfach ihren ‚Deckel.‘
Zwischen einer Landung und dem nächsten Start einer K-1 braucht die Rakete nur 9 Tage zur Überholung. Beide Stufen werden in eigens dafür vorgesehenen Fabrikhallen gesäubert, auf Materialschäden durchgesehen, ihre elektronische Software durchgecheckt und anschließend neu betankt und die neue Software für den nächsten Auftrag in die bordeigenen Computer eingespeist.. Währenddessen wird das Nutzlastmodul im Prinzip der gleichen Prozedur unterzogen und mit dem nächsten Transportgut bestückt.


Startgelände:

Für seine künftige K-1-Flotte hat sich KISTLER AEROSPACE zwei Startplätze gesichert: Der eine in den USA im Bundesstaat Nevada, nicht weit von Las Vegas; der andere im südaustralischen Woomera, ca. 450 km nördlich von Adelaide. Die Grafiken zeigen jeweils die möglichen Startkorridore an.

Startplatz Woomera

Startplatz Nevada

 
Das Flugtestprogramm hat in diesem Jahr in Woomera begonnen; ein erster Start des Gesamtsystems ist für 2002 anvisiert.

George MuellerGeorge Mueller ist einer der leitenden Direktoren von KISTLER AEROSPACE. Er leitete von 1963-69 das bemannte APOLLO-Programm der NASA und war zugleich auch für die GEMINI und SATURN-Projekte verantwortlich (s. Kap. 16 im Verlorenen Traum). Ihm unterstanden die Raumfahrtenzentren Kennedy, Johnson und Marshall. Unter Muellers Federführung entstand die Raumstation SKYLAB, in den USA gilt er als 'Vater des SPACE SHUTTLEs'. .,
Nun gelang es ihm dank der Unterstützung des australischen Premierministers, sich die Startrechte auf dem früheren Versuchsgelände Woomera zu sichern. Mueller versprach dem Politiker dafür, in den kommenden Jahren werde das Geschäft mit K. A. rund 1,7 Milliarden US-Dollar einbringen.

Auch wurden inzischen Investoren gefunden, die die ersten drei Starts der K1-Rakete sichern. Dafür waren 1,5 Milliarden US-Dollar aufzubringen.
Ein erster Start des bisher weltweit einmaligen Raumtransportsystems soll im Frühjahr 2002 erfolgen.

Das K-1- Flugprofil im Bild

 


Quellen:

Flug Revue 11/2000
Homepage von KISTLER AEROSPACE: http://www.kistleraerospace.com/


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Letztes Update dieser Seite am 12.07.2003